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Der Bernstein-Mensch

Der Bernstein-Mensch

Titel: Der Bernstein-Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford & Gordon Eklund
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seines Gesichtsfeldes schwindelerregend hin und her huschen. Den rissigen, rosigen Schnee zu seinen Füßen konnte er kaum erkennen.
    Abrupt ging er weiter; eine hektische Energie brodelte in ihm auf. Sein Atem war ein dünnes Raspeln. Der Anzug war gut, aber er konnte ihm keine Energien und Reserven geben, die er nicht besaß. Ein warmer Anzug, ein schwerer Anzug. Alle Behaglichkeit des Heims. Ein Produkt des Westens. Was hatte Najima noch gleich erzählt? Als Gandhi im zwanzigsten Jahrhundert nach England gekommen war und ein Reporter ihn fragte, was er von der Zivilisation des Westens halte, habe Gandhi geantwortet: „Ich finde, das wäre eine gute Idee.“
    Ja, und das war es auch gewesen. Viele Ideen, genaugenommen. Und ganz besonders eine: das Universum zu betrachten, zu besuchen, zu durchforschen.
    Ein Schüler der Sterne zu sein.
    Zu stampfen, zu marschieren, zu atmen …
    Der Sandpapierboden glitt unter seinen Stiefeln weg. Er klammerte sich an einen Felsen und fand sein Gleichgewicht wieder. Ein kleiner Erdrutsch ließ den Staub unter seinen Füßen abfließen.
    Seine Nase lief und seine Augen brannten. Er trank einen Schluck, und die Flüssigkeit sickerte wie öl durch seine Kehle.
    Bradley stieß sich von dem Felsen ab. Er hatte die Orientierung verloren, und seine einzige Hoffnung war es jetzt, sich bergab zu kämpfen. Irgendwann würde er auf die Kristallfasern stoßen. Er mußte. Kleine Steinchen knirschten gegen seine Stiefel, nahmen ihm Balance und Geschwindigkeit.
    Er wankte vorwärts, und die Felsen teilten sich vor ihm.
    Erst sah er nur einen leuchtenden Fleck.
    Er tat noch einen Schritt und sah das hohe, kantige Kristallgebilde, elfenbeinfarben und wenigstens zwei Meter hoch. Es schlängelte sich zwischen den Felsblöcken davon. Bradley dachte sogleich an einen wellenförmigen Zaun auf dem Lande, der achtlos zwischen Gestein errichtet worden war, aber dieses Ding hier erhob sich in einem Stück aus dem Boden und aus den Felsenflächen. Nahtlos. Als sei es hier gewachsen.
    Das Kristallnetz. Die Matrix. Bradley hatte das Gefühl, zu fallen. Er sah goldene Kleckse, die tief in dem milchigen Kristall schwammen. Glitzernd. Kreisend.
    Er zwinkerte. Seine Augen spielten ihm einen Streich. Aber nein … das Ding schien sich wirklich zu bewegen.
    Er schüttelte den Kopf, um ihn zu klären. Die purpurnen Punkte waren verschwunden. Er atmete tief, und ein zusätzlicher Schwall von Sauerstoff schmeckte süß auf seinen Lippen. Er schaute über das Kristallgebilde „hinweg, dorthin, wo ein steiler Hang in ein unübersichtliches Tal hinunterführte. Dann sah er wieder auf die Konturen des Netzes. Sie bewegten sich nicht, aber sie bildeten einen Rahmen für Linien und Perspektiven, die sich umeinanderdrehten.
    Ein kaltes, prickelndes Beben durchlief ihn. Er sah …
    … flüchtende Antilope, verwundet, Flanke fleckig von trockenem Blut, Zunge heraushängend …
    … den umhüllenden Mantel. Die breite Fläche einer sich wölbenden Welt, rubinrotes Tuch erstreckte sich weithin und drehte sich, golden jetzt, und bernsteinfarben …
    … Kraft und Masse, eine ausgebleichte Erde, ächzend unter der Last von sieben lodernden Kreisen … die lachten …
    … einen präzise definierten Raum, Miniaturfacetten von Licht und Anmut und Form, die sanfte Rundung glänzender Äpfel, feuchte Tropfen auf vollen Trauben …
    Bradley schauderte. Seine Kopfhaut prickelte.
    … dicken, üppigen Schaum, der zu den Sternen emporleckte …
    … das verrottende Rosa von Titan, eine verrostende Welt, Gestank, Abfall, Hohlheit, Echos …
    Er riß seinen Blick los und richtete ihn auf die schroffen grauen Felsen, um ihn dann langsam wieder auf das leuchtende Kristall zurückgleiten zu lassen. Ein rechteckiger Fleck: hier eine Seite, dort eine Verbindung; zwei Linien, verlängert, trafen sich dort …
    … eine geschnitzte Figur aus polierter Eiche, das Bild eines dunklen Mannes, der in den Sturm winkte, und der Wind zerrte an seinem Haar …
    Bradley trat näher. Schweiß tropfte über seine Augen, und er mußte blinzeln. Die Bilder flatterten. Menschen, Welten, verdrehte Wesen, verzerrte, blättrige Dinge und gezackte Streifen von Licht.
    Er trat noch näher.
    Er sah Sprünge in dem Kristallnetz, wie Risse in einer erkalteten Vanillesauce. Die gesamte Oberfläche war von einem Gewirr steingewordener Linien und Farben überzogen. Jeder kleine Einschnitt war eine Pyramide, ein Kubus, eine zerklüftete Form aus Spitzen und Winkeln, aber

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