Der Bernsteinring: Roman
flüchtiges Gespenst wie Valerius, der Rabe.«
»Ist dir eigentlich schon mal die Idee gekommen, sein Nachname könnte gar nicht mit C beginnen? Vielleicht ist es sein zweiter Vorname. Caspar, Carolus, Caesar, Cornelius, Constantin oder so. Und er heißt eigentlich Rabe oder Hrabanus.«
»Du machst mir Mut, Rose!«
»Das wird er nicht. Er heißt bestimmt Corvus, wie in der römischen Geschichte!«, begehrte Cilly auf. Sie glaubte noch immer, das unsere Erzählungen reale Ereignisse betrafen.
»Ach Cilly, das wäre so einfach. Aber komm, verwandeln wir uns in die drei Grazien und suchen unsere Ablenkung auf dem Maskenball der Mediziner.«
Ich hatte nach mehreren eindringlichen Anrufen Carls Bitten nachgegeben und war am Valentinstag mit ihm Essen gegangen. Es entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, auch wenn er, sehr gut versteckt, nach wie vor die Hoffnung hegte, es könne mehr daraus werden. Ich machte ihm zwar keinen Mut, aber ich fand ihn so sympathisch, dass ich ihn nicht einfach fortschickenmochte. Darum hatte ich auch die Einladung zum jährlichen Medizinerball der Studentenschaft angenommen, zu dem er regelmäßig eingeladen wurde. Er hatte, auf meine Bitte hin, diese Einladung auch auf Rose und Cilly ausgedehnt, erfreut, mit einer Eskorte von drei Schönheiten dort auftauchen zu können.
»Blass vor Neid sollen sie werden!«, hatte er genickt und von einer Wikingertracht gesprochen.
Das hatte uns auf die Idee gebracht, aus einigen Metern weißem Stoff schlichte römische Tuniken zu nähen. Darüber trug Rose ein blaues, Cilly ein grünes und ich ein safrangelbes Obergewand, das wir mit goldenen Geschenkbändern kunstreich um die Taille gürteten und in elegante Falten legten. Wir betrachteten uns im Spiegel und brachen in hemmungslose Heiterkeit aus.
»Das hätte Julian gefallen!«, schnaufte Rose endlich. »Kommt, Anna Denezia und Valeria Gratia, gehen wir Männerherzen brechen!«
Carl erschien pünktlich, um uns abzuholen und machte einen ziemlich haarigen Eindruck. Zotteliger Pelz umgab seinen Oberkörper, grobe Leinenhosen seine Beine und bis zu den Waden geschnürte Pelzgamaschen seine Füße.
»Ich habe auch einen Helm, aber der wirkt beim Autofahren ein wenig hinderlich.«
»Hast du einen Auerochsen mit bloßer Hand erlegt?« »Nicht mit bloßer Hand, Domina. Mit der Axt. Sie liegt ebenfalls im Kofferraum.«
Es versprach, heiter zu werden. Carl stellte uns einigen seiner Kollegen vor, und sogar die Ärztin, die mir die Narbe in meinem Gesicht so gerne entfernt hätte, war als Nonne erschienen, zeigte jedoch bedenklich viel schwarz bestrumpftes Bein unter dem Habit.
Es gab ein paar wirklich gute Büttenreden, einigewaren allerdings nur für die Insider der medizinischen Fakultät verständlich. Ein hinreißendes Männerballett brachte Rose, Cilly und mich schier um die Fassung, und ein Blödelbarde verursachte Cilly schließlich einen Schluckauf vor Lachen, den die anwesenden Doktores mit einem Glas Punsch bekämpfen mussten. Danach wurde getanzt. Carl versuchte, mich in Beschlag zu nehmen, aber nach dem zweiten Schunkelwalzer entkam ich ihm mit einem Scheich. Rose und Cilly hatten ebenfalls Partner gefunden und amüsierten sich sichtlich. Ich machte eine Tanzpause und gesellte mich zu ihnen, als Carl wieder auftauchte und uns ein Tablett mit Gläsern und einer großen Flasche Wasser brachte.
»Du bist kein raubeiniger Wikinger, du bist ein schlichter Engel!«, sagte Rose dankbar.
»Irgendwie muss man sich ja bei den Damen beliebt machen. Ach du liebe Zeit!« Er stellte das Tablett ab. »Die Juristen kommen!«
»Razzia?«
»Nein, das nun grade nicht. Aber die saufen uns immer das Kölsch weg.«
Drei unheimliche Gestalten in roten Wämsern, die Köpfe unter schwarzen Henkersmützen versteckt, mit Schwert, Beil und Hanfseil bewaffnet, kamen direkt auf uns zu. Carl lockerte seine Axt im Gürtel.
»Da ist er, der Schlächter vom Stadtkrankenhaus. Der amputiert immer gleich mit dem Hackebeil. Ergib dich, Carl, du feiger Hund, und versteck dich nicht hinter den hilflosen Frauenzimmern.«
Wir drei machten Front vor Carl.
»Wagt es, den römischen Göttinnen in den Weg zu treten!«, fuhr ich sie an.
»Ah, Göttinnen? Drei? Das werden wohl die Parzen mit den Warzen sein?«
»Falsch, Schinderhannes. Das sind Juno, Minerva und selbstverständlich Justitia, unsere Schutzpatronin.«
Der eine Henker nahm Roses Hand, lüpfte seine Maske ein wenig und beugte sich ehrfürchtig
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