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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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D IE M ACHT DER E RDE
    Das Wasser schoß den Berg hinauf.
    Ich spürte, wie der Satz sich mit brutaler Gewalt in meinen Kopf hineindrängte, wie er ihn trotz allem Widersinn zu zwingen versuchte, ihn anzunehmen.
    Das Wasser schoß den Berg hinauf.
    Es stob wie ein ungebärdiger Quell aus der Tiefe einer übersteilten Kuhle von zerbrochenem Gestein und wirrem Geäst von Olivenbäumen hervor, stieg für einen kurzen Augenblick wie ein Geysir, der noch nicht seine volle Kraft entwickelt hat, nahezu senkrecht empor, dann fiel es in einem leichten Sprühregen jenseits der Kuhle hinab und versickerte in unzähligen Rinnsalen.
    Ich weiß nicht, wie lange der Vorgang dauerte. Da alles erst kurz vor Einbruch der Dämmerung geschehen war, verwischten sich inzwischen die Konturen, das Licht auf den silbrigen Blättern der Olivenbäume war bereits erloschen, und die Tramontana fegte mit mächtigen Stößen eiskalt über das verwüstete Land.
    Ich stand am geöffneten Fenster des Wohnraums der Villa und schaute hinaus. Mit Furcht, mit Grauen, mit Neugier auch. Kaum anders hatten wir als Kinder den Gauklern bei ihren Zauberkunststücken zugeschaut oder jemandem zugehört, der erzählte, er wisse, wie man Gold macht, und dabei aus einem Federkiel ein Pulver in einen mit Blei gefüllten Tiegel rinnen ließ und behauptete, wenn man es jetzt erhitze, werde das Metall sich gewiß alsbald in Gold verwandeln.
    Ich stand und starrte in die hereinbrechende Dunkelheit, obwohl mir klar war, daß anderes zu tun in diesem Augenblick wichtiger gewesen wäre.
    Zum Beispiel einen Gang durch dieses Haus zu machen, für das ich seit heute verantwortlich war, zu überprüfen, ob es mein Pferd noch gab, das ich bei meiner Ankunft an der Rückseite des Gebäudes an einen Ring gebunden hatte. Und natürlich das Ausmaß des Erdbebens zu erkunden, bevor es vollends Nacht wurde. Vor allen Dingen aber abzuklären, ob die mir zugedachte Unterkunft neben dem Haus des Verwalters wirklich völlig verschwunden war, wie es nach den ersten Schrecksekunden des Bebens zu vermuten war. Aber ich tat nichts von alldem.
    Ich stand an diesem Fenster des Wohnraums eines Hauses, das ich heute zum ersten Male betreten hatte, und starrte auf das Wasser, das den Gesetzen der Natur zuwiderhandelte. Das sich gebärdete, als wolle es diese einmalige Gelegenheit bis zur Neige auskosten, ein Wasser zu sein, das bergauf floß. Und als seien ihm die Gründe dafür völlig gleich, ja, als wolle es keine Gründe, die diese Einmaligkeit möglicherweise hätten schmälern können. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange ich so stand, die Stunde der Vesper mußte längst überschritten sein, obwohl die Glocken in dem unter mir liegenden Dorf dies hätten ankündigen müssen. Aber das Bild, das sich mir zeigte, ließ vermuten, daß diese Glocken nie mehr läuten würden. Weder zur Vesper noch zu einer anderen Tageszeit.
    Das Ganze hatte kaum ein paar Minuten gedauert. Zunächst war tief in der Erde ein dumpfes Grollen zu hören gewesen, dann ein Krachen, ein Rütteln wie bei einem Schwerkranken im Schüttelfrost, danach ein Beben, das die schwarzweißen quadratischen Bodenfliesen im Flur vor der Kapelle, in dem ich kurz zuvor meine Malutensilien abgestellt hatte, so grotesk verschob, daß kein Karo mehr an das andere paßte.
    Darauf war die Stille gekommen. Eine unheimliche Stille. Sie senkte sich auf mich herab, nachdem ich mich in die Kapelle gerettet hatte, krallte sich an mir fest, als sei das Ende der Welt nahe und als seien mir nur noch wenige Sekunden gegönnt, bevor die Posaunen das Jüngste Gericht ankündigten.
    Es war mir klar, daß ich mich aus dieser Lähmung, die mich befallen hatte, lösen mußte, daß ich versuchen mußte, irgend etwas zu tun, egal, ob es Sinn hatte oder nicht. Ich entschied mich also dafür, die Kapelle zu verlassen und zunächst einmal nachzusehen, wieweit die Haustür gelitten hatte. Ich versuchte, sie zu öffnen, bemühte mich, den schweren Holzriegel, der verklemmt war, zu lockern, aber als er sich endlich löste, rastete er nicht mehr ein.
    Ich trat ins Freie hinaus – das wenige, was ich erkennen konnte, war eindeutig: Der Pfad, den ich an diesem Spätnachmittag herauf geritten war, existierte nicht mehr. Und das Haus des Fattore, in dessen benachbarter Kate wir hätten wohnen sollen, ebenfalls; dies war trotz anbrechender Dunkelheit noch deutlich zu erkennen. Von einer Minute zur anderen war ein geruhsamer Auftrag, auf den ich mich seit Wochen

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