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Der Chancellor

Titel: Der Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Stunden später erschallt ein lautes Geschrei auf dem Oberdeck, und Mr. Kear kommt mit dem Ausrufe herauf:
    »Wir sinken! Wir sinken!«
    Sogleich erblicke ich auch Miß Herbey, wie sie die bewußtlose Mrs. Kear heraufschleppt.
    Robert Kurtis eilt nach seiner Cabine, aus derer eine Karte, einen Sextanten und eine Bussole geholt hat.
    Unter lautem Verzweiflungsgeschrei herrscht die größte Verwirrung an Bord, und die Mannschaft stürzt nach dem Flosse, dessen Gestell ohne Ueberbau sie ja doch noch nicht aufzunehmen vermag.
    Es ist mir unmöglich, weder die Gedanken zu schildern, die jetzt durch mein Gehirn jagen, noch das schnelle Vorüberziehen der Bilder aus meinem ganzen Leben zu malen! Meine ganze Existenz scheint sich in diesen letzten Augenblick, der sie abschließen soll, zusammen zu drängen! Ich fühle, wie sich die Planken unter meinen Füßen beugen, und sehe das Wasser rings um das Schiff aufsteigen, so als ob der Ocean sich unter ihm aushöhlte.
    Einige Matrosen flüchten sich auf die Strickleitern und stoßen verzweifelte Flüche aus. Ich versuche ihnen zu folgen ...
    Eine Hand hält mich zurück, und ich sehe Mr. Letourneur, der auf seinen Sohn hinweist, während ihm große Thränen aus den Augen perlen.
    »Ja wohl, sage ich und drücke ihm krampfhaft die Hand, wir Zwei, wir werden ihn retten!«
    Noch bevor ich aber bis zu ihm gelange, hat Robert Kurtis schon André Letourneur umfaßt, und trägt ihn nach dem Mastkorbe des großen Mastes, während der Chancellor, den der Wind bislang noch ziemlich schnell forttreibt, plötzlich still hält. Es folgt eine heftige Erschütterung des Fahrzeuges.
    Das Schiff sinkt! Das Wasser erreicht schon meine Beine. Instinctiv erfasse ich ein Seil ... aber plötzlich steht das Schiff wieder, und bleibt der Chancellor, nachdem das Verdeck etwa zwei Fuß unter das Wasser versunken ist, unbeweglich!

XXV.
    Die Nacht vom 4. zum 5. December. –
    Robert Kurtis hat den jungen Letourneur aufgehoben, eilt mit ihm über das überschwemmte Verdeck und setzt ihn auf die Strickleiter am Steuerbord. Sein Vater und ich, wir klettern zu ihm hin.
    Dann blicke ich um mich. Die Nacht ist hell genug, um erkennen zu können, was ringsum vorgeht. Robert Kurtis ist auf seinen Posten zurückgekehrt und steht auf dem Oberdeck. Ganz rückwärts, nahe dem noch nicht überflutheten Hackbord, gewahre ich Mr. Kear, seine Frau, Miß Herbey und Falsten; auf der äußersten Spitze des Vorderkastells den Lieutenant und den Bootsmann, in den Mastkörben und auf den Strickleitern den Rest der Mannschaft.
    André Letourneur ist nach dem Mastkorbe des Großmastes geklettert, mit Hilfe seines Vaters, der ihm den Fuß Stufe für Stufe heben mußte, und trotz des Rollens ist er ohne Unfall hinaufgekommen. Mrs. Kear Vernunft beizubringen, ist freilich unmöglich gewesen; sie verbleibt auf dem Oberdeck und läuft Gefahr, von den Wellen weggespült zu werden, wenn der Wind noch mehr auffrischt. Auch Miß Herbey hält bei ihr aus, da sie jene nicht verlassen will.
    Robert Kurtis' erste Sorge nach dem Aufhören des Sinkens war es, alle Segel abnehmen und alle Stengen und die Obermaste herabsenken zu lassen. Hierdurch hofft er das Kentern des Chancellor zu verhindern. Kann er aber nicht jeden Augenblickganz untergehen? Ich begebe mich zu Robert Kurtis und richte diese Frage an denselben.
    »Das kann ich nicht wissen, erwidert er mir mit dem ruhigsten Tone, denn das hängt ganz von dem Zustande des Meeres ab. Gewiß ist für jetzt nur, daß das Schiff sich im Gleichgewicht befindet; leider können sich diese Verhältnisse aber in jeder Minute verschlimmern.
    – Kann der Chancellor noch, mit zwei Fuß Wasser über dem Deck, segeln?
    – Nein, Mr. Kazallon, wohl aber kann er unter dem Einflüsse des Windes und der Strömung abweichen, und wenn er sich einige Tage so hält, doch irgend einen Küstenpunkt anlaufen. Uebrigens haben wir als letzte Zuflucht das Floß, das in wenigen Stunden fertig sein muß, und auf welchem wir uns, sobald der Tag anbricht, dann einschiffen können.
    – Sie haben also noch immer nicht alle Hoffnung aufgegeben? fragte ich Robert Kurtis sehr erstaunt.
    – Die Hoffnung darf nie zu Schanden werden, Mr. Kazallon, selbst unter den allerschlimmsten Verhältnissen nicht. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß, wenn unter hundert Chancen neunundneunzig gegen uns sind, doch die hundertste uns gehört. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, so befindet sich der halbversunkene Chancellor

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