Der Countdown
würden.”
“Das kann nicht sein.”
“Hoffentlich ist alles in Ordnung?”
Maggie keuchte, während sie zu ihrem Wagen rannte und dabei Jakes Handy anrief. Es klingelte einige Male, bis die Mailbox ansprang.
“Jake! Bitte ruf mich an und sag mir, was hier vor sich geht! Bitte!”
Während der Fahrt schien jede rote Ampelphase ewig zu dauern. Sie rief bei sich zu Hause an, wo der Anrufbeantworter ansprang, und hinterließ eine weitere Nachricht für Jake. Während sie durch ihr Viertel fuhr, dachte Maggie daran, die Polizei zu benachrichtigen.
Und was soll ich denen sagen?
Es war besser, erst mal nach Hause zu fahren. Über alles nachzudenken. Vielleicht hatte sie etwas missverstanden, und die beiden waren schon zu Hause? War Jake in Wirklichkeit in Blue Rose Creek? Aber warum sollte er dann vorgeben, in Baltimore zu sein? Warum sollte er lügen?
Als sie in ihre Straße einbog, erwartete Maggie, Jakes Sattelschlepper auf dem Platz neben dem Bungalow zu finden.
Er stand nicht dort.
Mit quietschenden Bremsen kam sie in der Auffahrt zum Stehen, rannte zur Tür und rammte den Schlüssel ins Schloss.
“Logan!”
Logans Schultasche stand nicht wie üblich im Flur neben der Tür. Maggie lief in sein Zimmer. Keine Spur von Logan oder seinen Sachen. Sie lief von Zimmer zu Zimmer, suchte vergebens nach irgendwelchen Hinweisen.
“Jake! Logan!”
Wieder versuchte sie es über Jakes Handy.
Danach rief sie erst Logans Lehrerin und dann seine Freunde an. Niemand wusste etwas oder hatte etwas gehört. Sie lief nach nebenan zu Mr. Miller, doch der pensionierte Klempner war heute nicht den ganzen Tag zu Hause gewesen. Sie rief Logans Schwimmlehrerin an und telefonierte mit der Werkstatt, in der Jake seinen Sattelschlepper warten ließ.
Niemand hatte etwas gesehen oder gehört.
Bin ich verrückt geworden? Man kann nicht an einem halben Tag von Baltimore nach Kalifornien fahren. Und Jake hatte doch gesagt, dass er in Baltimore ist.
Sie durchstöberte Jakes Schreibtisch, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte. Sie rief seinen Handy-Anbieter an, um zu erfahren, wo sich Jake zum Zeitpunkt seines Anrufs aufgehalten hatte. Sie benötigte all ihre Überredungskünste, um den Angestellten dazu zu bringen, ihr Auskunft zu geben, doch er konnte ihr nur sagen, dass Jake während der letzten zwei Tage anscheinend keinen Anruf von seinem Handy aus getätigt hatte.
Am frühen Abend benachrichtigte sie die Polizei.
Der Diensthabende versuchte Maggie zu beruhigen. “Ma’am, wir geben eine Beschreibung des Trucks und das Kennzeichen raus. Wir überprüfen sämtliche Verkehrsunfälle. Mehr können wir im Moment nicht tun.”
Als die Nacht hereinbrach, verlor Maggie jedes Zeitgefühl und auch die Übersicht über ihre Anrufe. Den Hörer des schnurlosen Telefons umklammert, sprang sie jedes Mal zum Fenster, wenn sie ein Auto auf der Straße hörte. In der Dunkelheit, die sie zu verschlucken drohte, spukten Logans Worte in ihrem Kopf herum.
“
Ich mache mir Sorgen, dass irgendetwas Schlimmes geschehen wird …”
2. KAPITEL
F ünf Monate später
Faust’s Fork, in der Nähe von Banff, Alberta, Kanada
Haruki Ito wanderte allein am Flussufer entlang, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.
Er hob seine Nikon ans Auge und stellte den Zoom ein, bis der Bär in der Ferne seinen Sucher ganz ausfüllte. Ein weiblicher Grizzly, der in den Rocky Mountains am Ufer des reißenden Faust River Forellen jagte.
Mit dem Foto des Grizzlys erfüllte sich ein Traum für Ito, der gerade ein paar Tage Urlaub genoss. Er arbeitete als Nachrichtenfotograf bei der
Yomiuri Shimbun
, einer der größten Tagezeitungen in Tokio. Jetzt aber betätigte er den Auslöser ganz privat und drehte gerade für ein weiteres Bild am Schärfering, als an der Peripherie seines Sichtfelds etwas verschwommen auftauchte.
Er zoomte es heran und knipste ein Bild –
eine kleine Hand, die aus dem rasch dahintosenden Wasser ragte
.
Ito lief am Ufer entlang und kämpfte sich durch dichtes Gebüsch und über glitschige Felsen, während er ab und zu einen Blick auf die Hand erhaschte, dann auf einen Arm und schließlich auf einen Kopf, als der Fluss sein Opfer in einen Strudel gespült hatte.
Er trat vorsichtig an die kleine Ausbuchtung mit dem wirbelnden Wasser heran. Dann legte er seine Kameraausrüstung ab, ging Schritt für Schritt in das hüfthohe Wasser und streckte sich angespannt nach dem Kinderkörper.
Ein weißer Junge. Etwa acht oder neun
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