Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
Wie bitte, Sie haben noch keinen? Dann aber nix wie los!
Im Bann des Silbenbarbaren
Aus dem Silbensumpf hat sich ein Suffix erhoben, den deutschsprachigen Raum zu erobern. Und zwar bar jeder Rücksicht: Was früher unverwüstlich war, ist heute unverwüstbar, wenn nicht unkaputtbar. Produkte werden kaufbar, Entscheidungen akzeptierbar, Menschen erinnerbar. Der Siegeszug des Silbenbarbaren scheint unaufhaltbar.
Die Endsilbe -bar ist auf dem Vormarsch. Und im Moment sieht es so aus, als wäre sie durch nichts auf haltbar. Wie ein Heer grimmiger Orks rückt sie voran und nimmt ihren schwächeren Konkurrenten Lich, Abel und Sam eine Bastion nach der anderen ab. Die
Genannten sind nicht etwa Hobbits, sondern Suffixe.
Innerhalb kurzer Zeit ist die Macht der Silbe ins Unermessbare gestiegen. Sagen Sie noch »unerklärlich«
oder schon »unerklärbar«? Sind Vergangenheit und Schicksal für Sie unveränderliche oder unveränderbare Größen? Ist das Unaussprechliche für Sie bereits zum Unaussprechbaren geworden?
Wenn ja, dann befinden Sie sich möglicherweise im Bann des Silbenbarbaren. Dann hat er Sie erfolgreich auf seine Seite gezogen. Sie waren anscheinend fangbar. Nun sind Sie ihm dienstbar. Unaufhörbar.
Besonders starke Faszination übt der Barbar auf Politiker aus. Die haben nämlich festgestellt, dass ihre Sprache dynamischer klingt, wenn sie ihre inhaltsleeren Phrasen mit ein paar Bar aufpumpen. Dinge sind machbar, Risiken kalkulierbar, Forderungen
verhandelbar und Reformen umsetzbar. Manches ist» ad hoc nicht entscheidbar«, und nicht jedes Problem von heute auf morgen »bewältigbar«, doch Solidarität jederzeit »leistbar«. Mit solch markanten, wie in Marmor gemeißelten Ausdrücken wirkt selbst der mickerigste Politiker noch wählbar. Stilistisch wird er allerdings zunehmend unertragbar.
Für »nicht akzeptabel« sagt man heute auch gerne schon mal »nicht akzeptierbar«. Regierende halten Forderungen der Nichtregierenden in der Regel für »nicht diskutierbar«. Adieu, du schöne Endsilbe -abel. Wie wohl klangest du in unseren Ohren. Dein Niedergang ist äußerst blambar, aber offenbar unverhinderbar.
Judas mag käuflich gewesen sein, doch das ist
Geschichte. Die Verräter von heute sind kaufbar! So wie jene Wahlstimme, die im Internet »ersteigerbar« und »für 990 Euro sofort kaufbar« ist. Kaufbar sind auch noch ganz andere Sachen. Zum Beispiel Algen. Die
»Sächsische Zeitung« zitiert einen Tiefseespeise-Experten mit den Worten: »Solche Algen sind bereits kaufbar und im deutschen Lebensmittelrecht
zugelassen.«
Nichts gegen Kreativität in der Sprache! Dass Musik
»tanzbar« sein kann, hat man den Vor- und
Nachsprechern der MTV- und Viva-Generation noch durchgehen lassen. Doch es ist nicht mehr verzeihlich, wenn ein Seitensprung für »verzeihbar« gehalten wird.
Unübertrefflich schlecht wird es, wenn eine
Schlechtigkeit als » unübertreffbar « bezeichnet wird.
Nicht zuletzt geht es um den Klang der Worte: Ein Wort wie »erübrigbar« klingt wie der berühmte Schrankkoffer, der die Treppe hinunterpoltert – nicht alles, was sich grammatikalisch verwirklichen lässt, ist stilistisch
»verwirklichbar«.
Wohnungssuchenden wird gern geraten, sich »positiv erinnerbar zu machen«. Manch einer möchte aber gar nicht erinnerbar sein. Erinnernswert, das ließe man sich noch gefallen. Aber erinnerbar?
Grundsätzlich ist gegen Wörter auf -bar nichts einzuwenden; viele von ihnen sind sogar unentbehrlich.
Doch eben nicht unentbehrbar. Wenn die Endung
unkrautartig wuchernd anstelle anderer Silben tritt, natürliche Infinitive verdrängt und uns zu
Wortschöpfungen verleitet, die unsere Sprache nicht braucht, dann sollte man alle Kraft zusammennehmen und das barbarische Suffix abschütteln.
Unser Wortschatz ist wie eine prall gefüllte Tonne bunter Lego-Steine, die sich immer wieder anders zusammenfügen lassen. Doch nicht jede Konstruktion ist sinnvoll. Und längst nicht jede hält der baupolizeilichen Prüfung stand. Manche verstößt gegen grammatikalische Prinzipien.
Eines dieser Prinzipien lautet, dass Adjektive auf -bar nur von transitiven Verben gebildet werden können.
Transitive Verben sind Verben, die – im Unterschied zu intransitiven – ein Objekt haben können oder sogar benötigen.
Puristen wollen daher nicht einmal »unverzichtbar«
gelten lassen, da »verzichten« nicht transitiv ist. Das Wort existiert allerdings schon seit dem 19. Jahrhundert und
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