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Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1

Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1

Titel: Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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dürfte inzwischen als anerkannte Ausnahme der Regel gelten.
    So gesehen war übrigens die historische Behauptung, die »Titanic« sei »unsinkbar«, nicht nur inhaltlich, sondern auch grammatikalisch unhaltbar.

    Unglücklicherweise müssen Wirtschaftsjournalisten irgendwann beschlossen haben, dass das Verb »handeln«
    transitiv sei, denn ständig liest man von »handelbaren«
    Waren und Wertpapieren.
    Die buntesten Blüten aber treibt der Sport. »Bochum unabsteigbar«, sagte man dem VfL gerne nach. Was einst eine spaßige Wortschöpfung war, wurde von der Presse derart häufig wiedergekäut, dass der Originalitätsbonus inzwischen restlos verbraucht ist. »Unabsteigbar« stieg zum Lieblingswort der Bundesliga-Berichterstatter auf und lieferte die Vorlage für zahlreiche weitere sportsprachliche Offenbarungen. Trainer sind plötzlich
    »uneintauschbar«, Spieler »unbeschädigbar« und Schiedsrichter »unbeleidigbar«. Hier herrscht die Endsilbenbarbarei völlig unhemmbar.

    Es bleibt die Frage, wie lange die Macht des
    Barbaren erhaltbar ist. Denn schon hat sich aus dem schlammigen Morast des Silbensumpfs ein weiteres Suffix erhoben, um die Welt das Fürchten zu lehren. Es fällt über hilflose Verben und Verbalsubstantive her und geht mit ihnen groteske Verbindungen ein. Wozu es
    »fähig« ist, zeigt es bevorzugt in Hauswurfsendungen:
    »Die Küche ist erweiterungsfähig«, verspricht ein Hersteller, »das Regal ist verstellfähig«, behauptet ein anderer, und ein Altkleidersammler bittet darum, »nur tragfähige Kleidung« abzugeben. Autobahnfahrer, die rechts fahren und nicht zu schnell sind, sind »überholfä-
    hig«, und Politiker behaupten gern, das bisher Erreichte sei »verbesserungsfähig«. Das würde ja bedeuten, das Erreichte sei in der Lage, sich aus eigener Kraft zu verbessern! Wie wunderbar! Wozu brauchen wir dann eigentlich noch Politiker?

    Wie der Kampf der Silben ausgeht, bleibt abwartbar.
    Oder abwartungsfähig. Vielleicht haben wir es in ein paar Jahren mit akzeptierungsfähigen Entscheidungen zu tun, mit kauffähigen Produkten und erinnerungsfähigen Menschen.
    Die Übermacht der -ierungen

    Kennen Sie diese Phone-in-Shows, wo der Anrufer möglichst lange Sätze mit vielen Hauptwörtern bilden muss? Sowie er ein Verb sagt, ertönt ein hässliches Geräusch, und er hat verloren. Diese Shows haben diverse Formate und laufen auf vielen Kanälen. Man sieht sie überall dort, wo Menschen mit amtlichem Auftrag in ein Mikrophon sprechen.

    »Willst du nicht mal was über die unsinnige
    Akkumulation von Substantiven in der Politikersprache schreiben?«, wurde ich gefragt. »Na klar doch«, antwortete ich prompt, »die Konkretisierung einer solchen Möglichkeit befindet sich bereits im Stadium zielorientierter Maßnahmenergreifung. «

    Es ist ja wahr: Das Pfropfen von gewöhnlichen
    Verben mit dem Ziel, sie zu bedeutsam klingenden Hauptwörtern zu veredeln, scheint eine heimliche Leidenschaft der Reden-Züchter in deutschen Landen zu sein.
    Das Phänomen ist nicht neu. Über den fatalen Hang zur Substantivierung gerade im Amtsdeutsch haben sich schon Generationen von Sprachverbesserern ausgelassen.
    Leider ohne erkennbare Wirkung, denn noch immer wimmelt es in der Sprache von Substantiven, sowie der Ton offiziell klingt.

    Dafür gibt es eine Reihe guter Gründe: Substantive haben Kraft, sie signalisieren Entschlossenheit und suggerieren Sachverstand. Substantive sind männlich, selbst wenn sie weiblich sind. Sie sind mächtig. Wer mitmischen will da oben, braucht Substantive. Viele. Am besten einen ganzen Koffer voll. Koffer kommen in Politikerkreisen immer gut an. Hinter Substantiven kann man sich auch gut verstecken. Wenn man selbst
    eigentlich keinen Plan hat oder im Zweifel ist, ob man die richtige Entscheidung getroffen hat, dann kann man seine Unsicherheit durch Errichtung eines Palisadenzauns aus Nomen geschickt verbergen.

    Um den Zustand totaler Ratlosigkeit zu verschleiern, spricht man gerne vom »Prozess des Auslotens«; wenn etwas ausnahmsweise mal nicht reformiert werden soll, so wie die Wehrpflicht zum Beispiel, dann ist die Rede von »Beibehaltung« (geradezu erstaunlich, dass noch niemand »Beibehalt« daraus gemacht hat), und wenn der Haushalt zu kollabieren droht, ist die »Deckelung der Ausgaben« in aller Munde.

    An Wortschöpfungen wie »Nachhaltigkeit« haben
    wir uns inzwischen schon gewöhnt, an Blähwörter wie die von Bundesumweltminister Trittin gern

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