Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
erwähnte
»Zielerreichung« zum Glück noch nicht.
Häufig war auch die Rede vom »Vorziehen der
Steuerreform«. Das Wort steht so nicht im Duden, aber das muss nichts heißen. Im Duden steht nicht alles.
Gallseife zum Beispiel steht auch nicht drin, obwohl das ein seit Generationen bewährtes Hausmittel ist. Und in der Erklärung des Kanzlers zu Berlusconis Nazi-Vergleich heißt es: »Ich habe die Erwartung, dass der italienische Ministerpräsident sich in aller Form ...
entschuldigt.« Warum eigentlich »Ich habe die
Erwartung«? Wenn er gesagt hätte »Ich erwarte«, hätte das energischer und vor allem verbindlicher geklungen.
So lässt er ein Hintertürchen offen, um, wenn es hart auf hart kommt, sagen zu können: »War doch nicht so gemeint, lieber Silvio! Von >erwarten( habe ich doch nie was gesagt.«
Erinnern Sie sich noch an die Debatte über die
»Bereitstellung der Mittel zur Gewährung von
Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von anderem Unrecht aus der Zeit
des Nationalsozialismus Betroffene«? So heißt es jedenfalls in einer Drucksache des Deutschen
Bundestages aus dem Jahre 2001. Und das ist vermutlich noch harmlos.
Natürlich ist gegen die Substantivierung von Verben generell nichts einzuwenden. Aber in erhöhter
Konzentration machen diese Nomen die Sprache sperrig und hölzern. Sie mögen wichtig klingen, tragen aber nicht zur besseren Verständlichkeit bei.
Schuld am Substantivierungswahn sind aber
möglicherweise gar nicht die Politiker, sondern die Juristen. Die Parlamentarier müssen ja stapelweise Akten, Anträge und Gesetzesvorlagen durchlesen, aus denen der Nominalstil ebenso wenig wegzudenken ist wie der Stau von deutschen Autobahnen. Da ist von
»Feststellung der Auslotung der Ver-
gleichsmöglichkeiten« die Rede, von »Abschmelzung der für Unternehmen des produzierenden Gewerbes und der Landwirtschaft aus Wettbewerbsgründen geschaffenen Begünstigungen « und von » Zulassung der
Arbeitnehmerüberlassung zwischen Unternehmen
unterschiedlicher Wirtschaftszweige«, um nur ein paar Beispiele aus einem unerschöpflichen Quell nominaler Wortschöpfungen zu nennen.
Anfangs sperrt man sich vielleicht noch dagegen und denkt: »Was für ein Quatsch! Das lässt sich doch auch klarer ausdrücken!« Doch irgendwann ist selbst der eloquenteste Abgeordnete weich gekocht und ergibt sich der Übermacht der -ierungen, -nahmen und -barkeiten.
Wer soll's wissen? Unsereiner steckt da nicht drin, wie es so schön heißt. Die Drinnensteckung ist nicht gegeben, würde der Parlamentarier wohl sagen.
Das Verflixte dieses Jahres
»Wir haben zum 1. Januar diesen Jahres die Steuern gesenkt«, verkündet die Regierung stolz. Das ist natürlich erfreulich, auch wenn es leider nicht richtig ist; denn diese Aussage enthält einen Fehler. Der ist allerdings so weit verbreitet, dass er kaum noch auffällt. Gerechnet wird immer mit dem schlimmsten Fall, nur nicht mit dem zweiten.
Munter singend läuft das Rotkäppchen durch den Wald, in der Hand den Korb mit Kuchen und Wein für die Großmutter. Da erscheint der Wolf und spricht:
»Hallo, mein Kind, so spät noch unterwegs?« — »Grüß dich, Wolf!«, ruft das Rotkäppchen furchtlos, »wie geht's?«—»Phantastisch!«, sagt der Wolf, »ich habe mir Anfang diesen Jahres einen roten Sportwagen gekauft, der ist einsame Spitze! Wenn du willst, kann ich dich ein Stück mitnehmen!« — »Einen Sportwagen? Ich glaub dir kein Wort!« — »Doch, doch, er steht gleich dort drüben zwischen den dunklen, finsteren Tannen, hähä.« — »Der ist doch bestimmt geklaut! «, sagt das Rotkäppchen. Der Wolf hebt feierlich die Pfote: »Ich schwör bei deiner roten Kappe, ich habe ihn gekauft! Das heißt, vorläufig noch geleast, aber spätestens im Sommer diesen Jahres gehört er mir. Was ist, Bock auf eine Spritztour?« —
»Nein danke«, erwidert das Rotkäppchen, »ich gehe lieber zu Fuß.« Und naseweis fügt es hinzu: »Übrigens heißt es zu Anfang und im Sommer dieses Jahres.«
Damit springt es singend davon. Der Wolf denkt verächtlich: »Blöde Göre! Ob ich dich im Sommer diesen Jahres oder im Sommer dieses Jahres fresse, worin liegt da der Unterschied? Fressen werde ich dich so oder so!«
Jacob Grimm war nicht nur ein berühmter
Märchensammler, sondern auch ein bedeutender
Sprachwissenschaftler. Mit seinem »Deutschen
Wörterbuch« legte er den Grundstein für die
Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Sein Wolf hätte
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