Der Dieb der Finsternis
saß, nicht eingestehen wollte, dass er besiegt worden war, und sich weigerte, um sein Leben zu betteln.
Michael hob die Fackel aus der Wandhalterung. Die Schatten schienen umherzuhuschen, als würden sie von neuem Leben erfüllt.
»Ich brauche mehr Licht!«, rief Venue.
Michael sah sich in der Kammer um und schaute auf die leeren Wandhalterungen an den Wänden. Er stellte sich vor den Stapel zusammengefalteter Kemal-Reis-Segel, bückte sich und riss ein Stück herunter.
»Das muss unter uns bleiben«, sagte er und zog Silvius Feuerzeug aus der Tasche. »So sehr KC Sie hasst, ich möchte Sie nicht ganz allein in dieser ewigen Dunkelheit zurücklassen.« Mit diesen Worten wickelte er das graue Segeltuch mehrmals um das Feuerzeug, ließ das Ganze auf den Boden fallen und trat mit dem Fuß darauf.
»Benutzen Sie alles, was Sie finden können, um die Kammer beleuchtet zu halten, denn wenn das Licht erst einmal aus ist …«
Michael hob das zertrümmerte Feuerzeug vom Boden auf. Der Geruch des auslaufenden Butangases, das ins Leinentuch sickerte, stach ihm in die Nase. Ohne zu zögern hielt Michael es gegen die Fackel, entzündete damit einen Feuerball und warf die provisorische Fackel hoch in die Luft.
Venue schaute ihm zu. Er war völlig verwirrt, als die Fackel über seinen Kopf hinweg flog und um Haaresbreite auf seine kostbaren Bücher fiel, die so trocken waren wie Wüstenwind und so brennbar wie Zunder. Etwa drei Meter dahinter fiel die orangefarbene Feuersglut auf den Boden. Das Pergament, das Papier und die Tierhäute hatten Zeitalter überdauert in diesem luftdicht verschlossenen Raum, in dem es nicht feucht war wie in der Höhle draußen. Für sie war es ein Segen gewesen, dass es hier keine Insekten gab, keine Ratten und keine Mäuse, keinerlei Ungeziefer, das diese Bibliothek des Bösen bereits vor Jahrhunderten hätte zerstören können.
Durch Michaels Feuerball, der hinter den Schriftstücken lag, wurde die Kammer plötzlich in ein ganz neues Licht getaucht, in einen orangefarbenen Schein, der immer intensiver wurde. Venue starrte verstört darauf. Im nächsten Moment huschte sein Blick über die Wände, über die leeren Wandhalter …
Und er begriff.
Die mit Pech bestrichenen Fackeln lagen verstreut hinter den Stapeln von Pergamenten und Büchern, Schriftrollen und Tierhäuten. Die uralten Fackeln waren genauso leicht entzündlich wie an dem Tag, an dem man sie hergestellt hatte, und fingen sofort Feuer. Im Nu breiteten die Flammen sich aus und erfassten den Fußboden. Venue sprang auf. Er sah, dass Michael einen Teil des Segeltuchs auf den Boden gelegt und sowohl hinter als auch unter seinen kostbaren Fund gestopft hatte. Das trockene Leinenmaterial war ein gefundenes Fressen für die Feuersbrunst. Binnen Sekunden leckten die Flammen an der ersten Schriftrolle, ein zweitausend Jahre altes Gebet an Satan.
Venue kroch auf dem Boden herum wie ein verstörtes Kind, als die Welt um ihn her Feuer fing. Flammen und Funken sprangen auf die neueren Texte und auf tausend Jahre alte Pergamente über. Das Feuer zischte und entsandte schwarze und graue Rauchfahnen, die sich zu dicken Wolken ballten und gegen die Decke drückten. Mit bloßen Händen schlug Venue auf die tanzenden Flammen ein, zog so viele Bücher weg, wie er eben konnte, bevor sie verloren gingen.
Ein letztes Mal ließ Michael den Blick durch die Kammer schweifen, über die Berge aus Gold und Edelsteinen, die goldenen Kunstwerke und Artefakte, deren schimmerndes Metall im Licht des Feuers glühte. Es war ein Schatz, den nie wieder jemand zu Gesicht bekommen würde. Ein Schatz, der Milliarden wert war und der sich im Laufe von Jahrtausenden angehäuft hatte, der gestohlen worden war von namenlosen Männern, um schließlich auf hoher See zu enden.
Kemal Reis, ein gefürchteter Korsar, ein gefeierter Admiral der türkischen Flotte, hatte sein Leben geopfert, um diesen Schatz zurückzubringen – sowie viele der unheilvollen Schriften, die jetzt im Feuer lagen, das sich immer weiter ausbreitete.
In diesem Moment wurde Michael bewusst, dass eine Sache fehlte. Eilig rannte er aus der Kammer, ließ Venue zurück und verschloss die Tür. Dann packte er KC bei der Hand und stürmte mit ihr die Treppen hinauf.
***
Michael und KC stürzten keuchend aus dem dunklen Türrahmen, völlig außer Atem von dem dreiminütigen Aufstieg. Gemeinsam lehnten sie sich gegen die gewaltige schwarze Tür, pressten sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen und drückten
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