Der Vermesser (German Edition)
I
A n der Stelle, wo der Kanal eine Biegung nach rechts machte, konnte man trotz des stärkeren Gefälles nicht mehr aufrecht stehen. Und obwohl sich William, der die Laterne ausgestreckt vor sich hielt, duckte, stieß er mit dem Hut an die schlammüberzogene Decke. Fäkaliengeruch stach ihm in die Nase. Er konnte die Hand nicht ruhig halten, so dass der Lichtschein in der Dunkelheit zitternd hin und her hüpfte. Das Wasser, das durch den schmaleren Kanal schoss und immer höher stieg, presste ihm die kniehohen, eingefetteten Lederstiefel an die Waden. Das Rauschen übertönte sogar das Klappern der Pferdehufe und der eisenbereiften Räder über ihm. Natürlich – er befand sich bereits in großer Tiefe. Zwischen ihm und der gepflasterten Straße lagen mindestens sechs Meter schwerer Londoner Lehm, dessen Gewicht die Dunkelheit noch erdrückender machte. Die morschen Backsteine unter seinen Füßen waren tückisch, weich wie Käsekrümel, und bei jedem Schritt schmatzte der dicke schwarze Schlamm unter seinen Sohlen. Obwohl er so große Erregung verspürte, dass ihm die Haare zu Berge standen, zwang sich William, so langsam und vorsichtig zu gehen, wie es ihm die Ausspüler gezeigt hatten. Er drückte die Fersen fest in den unsicheren Boden, um dann sein Gewicht über den Fußballen abrollen zu lassen, und suchte dabei die Wasseroberfläche nach aufsteigenden Blasen ab. Im Schlamm verbargen sich Blasen mit Faulgas, wie die Ausspüler es nannten, und angeblich genügte schon der leiseste Hauch, um einen Menschen auf der Stelle ohnmächtig niedersinken zu lassen, wie von einer Kugel getroffen. Das Wenige, das William über die giftige Wirkung von Schwefelwasserstoff wusste, reichte aus, ihnen vorbehaltlos zu glauben.
Der fahle Schein seiner Laterne brach sich auf der schwarzen Wasseroberfläche und warf den Schatten eines Bösewichts an die gewölbte Wand. Ansonsten herrschte vollkommene Finsternis, selbst im ersten Tunnelabschnitt, wo Einstiegsgitter direkt nach oben auf die Straße führten. Den ganzen Tag hatte dichter Nebel über London gehangen, eine schokoladenfarbene Düsternis, die nach Schwefel stank und selbst der Morgendämmerung trotzte. Vergeblich drückten die Gaslaternen ihre Lichtkreise in die Dunstglocke. Kutschen tauchten jäh aus der Dunkelheit auf, und das gedämpfte Getrappel und Wiehern der Pferde vermengte sich mit den Warnrufen der Kutscher. Fußgänger mit tief ins Gesicht gezogenen Hüten und hochgeschlagenen Kragen huschten aufeinander zu, um ebenso rasch wieder im Nichts zu verschwinden. Die klobigen Schemen der Express-Dampfboote auf der Themse erinnerten an eine hingekritzelte Kohlezeichnung, über die ein Kind unachtsam mit dem Ärmel gewischt hatte. Jetzt, um fast sechs Uhr abends, war das schmutzige Braun des Nachmittags von der Schwärze der Nacht verschluckt worden. Verstohlen wie ein Kanaljäger schloss William jedes Mal, wenn er zu einem Einstiegsgitter kam, die Blende seiner Laterne. Nicht genug damit, dass er allein umherstreifte, ohne Unterstützung von der Straße aus, was einen groben Verstoß gegen die Vorschriften der Baubehörde darstellte. Wie sollte er seine Anwesenheit hier erklären, in einem Kanalabschnitt, der erst kürzlich für einsturzgefährdet erklärt und geschlossen worden war, bis umfangreiche Reparaturarbeiten vorgenommen werden konnten? William konnte schwerlich behaupten, er habe davon nichts gewusst. Schließlich stammte der Bericht von ihm, in dem genau dies gefordert wurde, sein erster offizieller Bericht an die Baubehörde:
Im südlichen Abschnitt des Zweigs in der King Street ist der Verfall des Backsteinmauerwerks weit fortgeschritten, wobei besonders die Bogenlaibung unter beträchtlicher Zersetzung leidet. Zwar ist davon auszugehen, dass der Gezeitenstrom eine übermäßige Anhäufung von Ablagerungen verhindert, doch die große Menge einströmenden Wassers, der der Tunnel bei Flut und schweren Regenfällen standhalten muss, stellt eine gravierende Gefahr für die Stabilität der gesamten Konstruktion dar. Eine Unterfangung des Gewölbes ist dringend erforderlich, um dem weiteren Verfall entgegenzuwirken. GEFAHR .
Den Sachverhalt in so präzise Worte zu kleiden hatte ihn befriedigt. Sie zeugten von einer Welt, die mit Methodik und Vernunft das Chaos bannte. Als er an seinem ersten Arbeitstag als Assistent des Ausschusses zusammen mit den anderen jungen Männern mit Mr. Bazalgette persönlich bekannt gemacht worden war, hatte einer aus der
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