Der Dieb der Finsternis
würde, hatte er keine andere Wahl.
Er zog zwei kleine Rucksäcke hervor, sogenannte Hilfsschirme. Im Unterschied zu dem Gleitschirm, den er gerade benutzt hatte, waren sie mit einer Vorrichtung versehen, die der Springer beim Absprung aus niedrigen Höhen in der Hand hielt; ließ er sie los, öffnete sich der Schirm.
Dann packte er drei Stück C4-Plastiksprengstoff aus. Zwei versah er mit einem Zeitzünder; den dritten steckte er sich in die Hosentasche. Anschließend öffnete er eine der Seitentaschen und zog eine kleine elektrische Dose heraus, einen Frequenz-Scrambler, der nicht nur alle tragbaren Funkgeräte, sondern auch sämtliche Mobiltelefone unbrauchbar machen konnte.
Michael hatte Kunstgegenstände gestohlen, Diamanten und goldene Schatullen, aber so etwas wie diesmal hatte er noch nie getan: In dieser Nacht stahl er einen Freund aus einem berüchtigten Foltergefängnis.
Michael arbeitete sich um das gesamte Gefängnis herum. Es waren keine Wachen auf Streifengang, und es standen keine Posten auf den Gefängnismauern; nur in den Türmen im Norden und Osten waren zwei Wachmannschaften stationiert, aber die interessierten sich wahrscheinlich mehr für das Fußballspiel, das auf ihren kleinen Fernsehern lief.
Michael schaute über das öde Landstück, das sich vor dem Gefängnis über ungefähr hundert Meter erstreckte; dann glitt sein Blick über das felsige Terrain in Richtung des Klippenrands. Er vergewisserte sich, dass es dort keine Hindernisse gab. Der Schatten des Gefängnisbaues hinter ihm sorgte dafür, dass das Gelände im Schatten lag. Wenn sie ungefähr fünfzehn Sekunden rennen konnten, ohne von einer Kugel getroffen zu werden, hatten sie eine hauchdünne Chance.
Michael holte ein Stück C4 hervor und vergrub den Plastiksprengstoff an der Südseite des Gefängnisses. Die rote LED-Anzeige leuchtete kaum merklich durch den Staub.
Michael schlich hinter das Gefängnis und lief die etwa achthundert Meter zum Kraftwerk, wo das Dröhnen des Generators von den Mauern widerhallte. Stromleitungen und Elektrizität waren immer noch Fremdworte in diesem abgelegenen Teil des Landes. Aufgrund der geographischen Lage war man in Chiron gezwungen, eigenen Strom zu erzeugen, was mittels eines Generators geschah, der mit Benzin betrieben wurde. Der Strom wurde für die minimale Beleuchtung des Gefängnisses genutzt sowie für die Funkgeräte, Satellitentelefone und Suchlichter der Wachtürme, die nur eingeschaltet wurden, wenn jemand zu fliehen versuchte. In erster Linie sicherte die erzeugte Elektrizität allerdings den Komfort des Gefängnisdirektors.
Das Benzinlager enthielt zwei Zwanzigtausend-Liter-Tanks, die alle zwei Monate von einem Lastwagen nachgefüllt wurden, dessen Fahrer den dreifachen Lohn dafür erhielt, dass er den schmalen Gebirgspass hinauffuhr. Er wurde immer im Voraus bezahlt, denn das Geld sorgte dafür, dass der Mann die Konzentration nicht verlor, wenn er an den verkohlten Überresten vorüberkam, die die Tanklaster seiner Vorgänger gewesen waren und die jetzt im Tal verstreut lagen.
Vorsichtig befestigte Michael ein Stück C4 an dem ersten der beiden Treibstofftanks und überprüfte drei Mal die Fernzündung. Dann kroch er zum Generator und fand den Verteilerkasten für den Strom. Er brach das Schloss fast ebenso schnell auf, wie er es mit einem Schlüssel geöffnet hätte. Er fand die Hauptsicherung und legte den Hebel um, ohne zu zögern. Schlagartig erloschen im Gefängnis die Lichter. Michael schloss den Verteilerkasten, legte das Schloss wieder vor und versteckte sich in der Dunkelheit.
Es dauerte fünf Minuten, bis er die Taschenlampen der beiden Wachmänner sah, die bei jedem Schritt, den sie näher kamen, auf und nieder hüpften. Die Glut ihrer Zigaretten glimmte in der Nacht. Wegen des Lärms, den der Generator machte, konnte Michael die zwei Männer nicht hören, doch er sah, dass sie das Schloss vom Verteilerkasten entfernten, den Hebel der Hauptsicherung wieder umlegten und die Stromversorgung wiederherstellten.
Michael wartete, bis die Männer wieder im Gefängnisbau verschwunden waren; dann öffnete er den Verteilerkasten und schaltete erneut das Licht ab. Dieses Mal erschienen die beiden Wachmänner sehr viel schneller; in jedem ihrer raumgreifenden Schritte war die Wut abzulesen, dass man sie erneut gestört hatte.
Michael versteckte sich rasch auf der anderen Seite, genau gegenüber von der Gefängnistür, aus der die Männer gekommen waren, und wartete. Sie
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