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Der Dolchstoss

Der Dolchstoss

Titel: Der Dolchstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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hatte. Die meisten Frauen hätten jetzt schon am Rande des Wahnsinns gestanden, wenn sie nicht bereits darüber hinaus gelangt wären.
    »Und wollt Ihr auch bereitwillig gehorchen?« fragte die rauhe, knirschende Stimme.
    ›Ja, ich möchte bereitwillig gehorchen, Mia'cova.« Was auch immer nötig war, um zu überleben. Aber sie keuchte noch immer, wenn sich kalte Finger plötzlich in ihr Haar gruben. Sie richtete sich so weit auf wie möglich, aber er half dennoch nach. Zumindest blieben ihre Füße dieses mal auf dem Boden. Der Myrddraal betrachtete sie ausdruckslos. Als sich Moghedien an vergangene Besuche erinnerte, fiel es ihr schwer, nicht zusammenzuzucken oder zu schreien oder einfach Saidar zu umarmen und dem ein Ende zu bereiten.
    »Schließt Eure Augen«, befahl er ihr, »und haltet sie geschlossen, bis ich Euch erlaube, sie wieder zu öffnen.«
    Moghedien schloß eilig die Augen. Eine von Shaidar Harans Lektionen hatte darin bestanden, ihr augenblicklichen Gehorsam beizubringen. Außerdem konnte sie mit geschlossenen Augen versuchen vorzugeben daß sie jemand anderer sei. Was auch immer nötig war.
    Die Hand in ihrem Haar bewegte sich jäh, und sie schrie wider Willen auf. Der Myrddraal preßte sie gegen die Wand. Sie hob schutzsuchend die Hände, und Shaidar Haran ließ sie los. Sie taumelte mindestens zehn Schritte - aber ihre Zelle maß keine zehn Schritte. Sie roch Wald. Sie roch einen schwachen Hauch harzigen Rauch. Sie hielt die Augen jedoch fest geschlossen. Sie wollte sich auch weiterhin nicht mehr als blaue Flecke einheimsen und auch davon nur so wenige wie möglich, so lange es ihr gelang.
    »Ihr könnt die Augen jetzt wieder öffnen.«
    Sie tat es vorsichtig. Der Sprecher war ein großer, breitschultriger junger Mann in schwarzen Stiefeln und Hose und einem weißen, oben geöffneten Hemd, der sie mit erschreckend blauen Augen aus einem gepolsterten Lehnstuhl vor einem Marmorkamin ansah, in dem die Flammen an langen Scheiten entlang züngelten. Sie stand in einem mit Holzpaneelen versehenen Raum, der vielleicht einem reichen Kaufmann oder einem Adligen bescheidenen Ranges in dieser Zeit hätte gehören können. Die Möbel waren mit Schnitzereien versehen und goldverziert und die Teppiche in rotgoldenen Arabesken gewoben. Sie war sich jedoch sicher, daß sich dieser Raum irgendwo in der Nähe Shayol Ghuls befand. Er fühlte sich nicht an wie Tel'aran'rhiod, die einzige andere Möglichkeit. Sie wandte hastig den Kopf und atmete tief durch. Der Myrddraal war nirgendwo zu sehen. Der feste Silberring Cuande um ihre Brust schien verschwunden.
    »Habt Ihr Eure Zeit in der Vakuole genossen?«
    Moghedien spürte eiskalte Finger nach ihrer Kopfhaut greifen. Sie war keine Forscherin und keine Schöpferin, aber sie kannte das Wort. Sie dachte nicht einmal daran zu fragen, woher ein junger Mann dieser Zeit es kannte. Manchmal gab es Blasen im Muster, obwohl jemand wie Mesaana sagen würde, das sei eine zu einfache Erklärung. Man konnte Vakuolen betreten, wenn man wußte wie, und sie konnten wie der Rest der Welt beeinflußt werden - Forscher hatten in Vakuolen oft große Experimente durchgeführt, wie sie sich vage erinnerte -, aber sie befanden sich tatsächlich außerhalb des Musters, und manchmal schlossen sie sich oder lösten sich vielleicht und entschwebten. Selbst Mesaana wußte nicht, was geschah, nur daß alles zu der Zeit darin Befindliche für immer verschwand .
    »Wie lange?« Es überraschte sie, daß ihre Stimme fest klang. Sie wandte sich zu dem jungen Mann um, der dort saß und sie anlächelte. »Ich fragte, wie lange? Oder wißt Ihr es nicht?«
    »Ich sah Euch...« Er hielt inne, langte nach einem Silberbecher auf dem Tisch neben seinem Stuhl und lächelte sie über den Rand hinweg weiterhin an, während er trank. »...vorletzte Nacht ankommen.«
    Sie konnte ihr erleichtertes Seufzen nicht zurückhalten. Der einzige Grund, warum jemand eine Vakuole betreten wollte, bestand darin, daß die Zeit dort anders verging - manchmal langsamer, manchmal schneller. Manchmal viel schneller. Sie wäre nicht allzu überrascht gewesen zu erfahren, daß der Große Herr sie tatsächlich einhundert Jahre lang gefangen gehalten hatte, oder eintausend, um sie wieder in eine Welt zu entlassen, die ihm bereits gehörte, um sie dahinsiechend ihren Weg gehen zu lassen, während die anderen Auserwählten die Oberhand hatten. Sie war noch immer eine der Auserwählten, zumindest in ihrer Vorstellung. Bis der Große

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