Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
waren.
Für Penelope war es wie das erste Mal, über die breite London Bridge zu gehen. Gewiss war sie schon einige Male auf der anderen Seite des Flusses gewesen, aber diesmal war alles anders. Diesmal ging sie alleine und hatte ein besonderes Ziel: ihren neuen Arbeitsplatz. Der Lärm der Kutschenräder und das Klappern der beschlagenen Pferdehufe hatten daher einen anderen Charakter. Der Lärm auf der anderen Seite der Brücke hatte einen großartigeren Klang, weil der Wind in den breiten Straßen genug Platz fand, ihn emporzutragen und nach seinem Gusto herumzuwirbeln, bevor er ihn spielerisch zu Boden fallen ließ. Es fühlte sich auch wundervoll an, über die gleichmäßigen, runden Pflastersteine zu laufen und ihre Formen bei jedem Schritt unter der dünnen Ledersohle zu spüren. Niemand schüttete hier seinen Unrat auf die Straße, und den allgegenwärtigen Kot der Kutschtiere zerhackten regelmäßig Möwen auf der Suche nach Haferkörnern. Jeder Regenguss spülte den Unrat in die Gosse, und man konnte sich einbilden, die Pflastersteineseien ein glänzend schwarzer Teppich, über den man wie eine vornehme Dame schritt.
Penelope schüttelte den Kopf über diese dummen Gedanken. Sie war keine vornehme Dame – allenfalls auf dem Weg zu solch einer, ohne jedoch zu wissen, ob sie dort auch willkommen war. Die Mutter hatte ihr nur eine Adresse und den Namen der Dame auf einen Zettel geschrieben, damit sie, falls sie sich verirrte, nach dem Weg fragen konnte. »Lady Rose Winfield« – den Namen konnte sie ebenso auswendig wie die Adresse in Belgravia. Sie trug ihr bestes Kleid unter dem alten Wollmantel, dessen Ärmel sie mit einer bestickten Borte so geschickt verlängert hatte, dass nur aufmerksame Betrachter bemerken würden, wie verschossen die Nahtkanten waren. Regentropfen glitzerten wie kleine Edelsteine auf dem Filz.
Die Mutter hatte ihr im Morgengrauen das Waschwasser ausnahmsweise erhitzt und ein Stück ihrer kostbaren Seife zum Waschen spendiert. Da sie solche Kleinode nur sehr selten als Bezahlung für ihre Dienste erhielt, geizte Mary mit ihnen. Doch heute war sie ungewohnt großzügig gewesen und hatte Penelope auch beim Haarewaschen und Einflechten geholfen. Der Seifenduft hing immer noch in ihrem Haar. In einem Fenster hatte sie heimlich den satten Glanz ihrer dunkelblonden Flechten bewundert. Die Flechtfrisur war gut gelungen und betonte ihren schlanken, schönen Hals. Penelope fühlte sich wie auf dem Weg zu einer Hochzeit.
Je näher sie dem Sloane Square kam, desto richtiger fühlte sich alles an. In Hauseingängen roch es nach Karbol und Scheuermittel. Adrett gekleidete Küchenmädchen schleppten Einkäufe in Dienstboteneingänge, aus denen ihr der Duft frischgebackenen Brotes entgegenschlug. Feine Damenwandelten über das gefegte Pflaster, gefolgt von Zofen in vornehmen Mänteln, und selbst die Kutschen, die langsam durch die Straßen fuhren, blinkten unter den Regentropfen, weil Kutschburschen sie täglich von jeglichem Schmutz reinigten. Wie schwarze Perlen rannen die Tropfen an den Kutschen herab, und Penelope dachte, dass bei so viel Pracht das Reich des englischen Königs dem im Himmel ähneln musste. Sie wusste allerdings, dass der Bewohner des St.-James-Palastes am anderen Ende des gleichnamigen Parks zwar von königlicher Geburt war, es jedoch geschafft hatte, sich durch einen extravaganten Lebensstil derart zu verschulden, dass das Parlament ihm seine Schulden hatte erlassen müssen, worüber seine Untertanen äußerst erzürnt waren. Madam Harcottes Empörung klang noch in ihren Ohren. Ein König bekam die Schulden erlassen, ein braver Handwerker landete im Schuldturm, hatte man noch Worte! Böse Zungen nannten König George III. verrückt, die Madam teilte ihre Meinung. In Belgravia wohnten noch nicht einmal die wirklich feinen Leute. Mr. Winfield, der Vater von Lady Rose, war ein Tuchhändler, den die Baumwolle aus den Kolonien reich gemacht hatte. Er verkehrte durch seine Geschäfte regelmäßig bei Hofe. Alles, was zu seinem Glück fehlte, so hatte die Mutter am Morgen dann doch noch verraten, war die Ernennung zum königlichen Hoflieferanten. Diese Ernennung ließ jedoch auf sich warten. Der König überließ Entscheidungen lieber seinem Premierminister. Und Lord Liverpool hatte zurzeit andere Sorgen, er musste sich mit dem Wichtigtuer aus Korsika herumschlagen, der mit seiner Seeblockade nicht nur den Baumwollhandel erschwerte. Mr. Winfield konnte daher nur weiter Vermögen
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