Die IQ-Kids und die geklaute Intelligenz (German Edition)
Vorwort
Gunna Harðardóttir, die Sekretärin der Sundschule, lächelte breit, denn es war ihr letzter Arbeitstag. Sie war schon morgens mit einem breiten Lächeln aufgewacht, und es hatte den ganzen Tag angehalten. Bald würde sie ihr Büro verlassen, die Tür hinter sich zuziehen und nie mehr wiederkommen.
„Das wird bestimmt seltsam“, dachte Gunna. Sie hatte ganze vierzig Jahre in der Schule als Sekretärin gearbeitet. Es waren schöne Jahre gewesen, und Gunna war keineswegs so gut gelaunt, weil sie ihre Arbeit langweilig gefunden hatte. Nein, das war wirklich nicht der Grund, sondern vielmehr die großen Veränderungen, die in dieser Zeit stattgefunden hatten – Veränderungen, mit denen Gunna in den letzten zehn Jahren nicht mehr Schritt halten konnte. Es fing an mit den Faxgeräten, dann kamen die Computer, dann GSM, SMS, DVD und weitere Abkürzungen, die sie sich nie merken konnte. Von den Massen an technischen Geräten, die in der Schule Einzug gehalten hatten, waren die Computer am allerschlimmsten. Wie sehr sich Gunna auch bemühte, nie gelang es ihr, im Computer das Richtige zu finden oder ihn dazu zu bringen, das zu tun, was sie wollte. Immer, wenn sie glaubte, die Sache einigermaßen zu beherrschen, kam der Schultechniker mit einem neuen, verbesserten Modell und einer anderen Softwareversion. Und dann diese grässlichen E-Mails! Die machten wirklich nur Ärger! Gunna hatte längst aufgehört, die vielen wichtigen Dinge zu zählen, die sie vermasselt hatte, weil sie ihre Mails nicht las.
Gunna lächelte weiter. Nie, nie, nie würde sie jemals wieder einen Computer einschalten oder eine E-Mail lesen. Wenn ihr jemand schreiben wollte, musste er bitte schön Stift und Papier zur Hand nehmen. Sie schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde. Gunna beeilte sich, die restlichen Arbeiten zu erledigen. Sie nahm einen Stapel Briefe, die noch abgeschickt werden mussten, und überflog sie eilig. Die meisten Briefe richteten sich an die Eltern der Schüler, deren Leistungen zu schlecht gewesen waren. Die Namen kamen ihr bekannt vor. Da war Geir aus der 5 B, der so furchtbar dick war, Dísa aus der 3 C, die keine Zeit zum Lernen hatte, weil sie ständig Tanzen übte, und dann noch Anna Lísa und Raggi aus der 7 A. Anna Lísa und Raggi standen beide in Dänisch auf der Kippe, und Raggi war außerdem sehr schlecht in Geschichte und Werken. Gunna schüttelte den Kopf. Das waren ganz wunderbare Kinder. Ein bisschen verträumt vielleicht, aber bestimmt nicht dumm. Das hatte Gunna in ihrer langen Zeit in der Schule nämlich gelernt: Kein Kind war dumm. Sie kamen nur unterschiedlich gut damit zurecht, stillzusitzen, zuzuhören und sich Dinge merken zu müssen.
Gunna betrachtete die nächsten Briefe, die einen ganz anderen Inhalt hatten als die blauen Briefe. Es handelte sich um Briefe an die besten Schüler der Schule, die Zwillinge Hallur und Hallfríður. Die beiden waren so gut, dass sie schon mit neun Jahren in einer Klasse mit den Zwölfjährigen waren. Gunna überflog die Briefe. „Ach so“, murmelte sie, „ein Initiativzentrum, tja, was es alles gibt …“ Dann las sie den Brief in aller Ruhe durch, um herauszufinden, worum es sich eigentlich handelte.
Kurz gesagt ging aus dem Brief hervor, dass die Firma Biokids ein Initiativzentrum für hochbegabte Kinder gegründet hatte. Das Zentrum sollte im Juni, wenn die Ferien begannen, seine Arbeit aufnehmen. Die besten Schüler aus allen Grundschulen Islands wurden eingeladen, an den Forschungen der Firma teilzunehmen. In dem Brief wurde Dr. Guðgeir Bjargmundsson, der Gründer von Biokids , zitiert. Er sagte, das Initiativzentrum sei Teil eines Programms der Regierung, das Island in Zukunft zum höchsttechnisierten Land der Welt machen wolle. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse man sofort aktiv werden, und zwar mit einem zielgerichteten Training hochbegabter Schüler, die Island in diese neue Ära des Fortschritts führen sollten. Das Zentrum sollte begabten und motivierten Schülern die Möglichkeit geben, noch besser zu werden und Bereiche aus dem Wirtschafts-, Arbeits- und Techniksektor kennenzulernen, die sie später einmal zu Initiatoren machen würden.
„Das ist doch leeres Geschwätz!“, schimpfte Gunna. Sie sparte sich den Rest des Textes und las nur noch den Schluss, wo stand, dass der Empfänger des Briefs nach Begutachtung der Noten und Leistungen aller Schüler einer von zweien sei, die an der Sundschule ausgewählt worden waren.
Gunna
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