Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
für … Dinge?« Ungewollt quollen dann doch Tränen aus den Augenwinkeln und verbrannten ihre Wangen. »Was ist zu jung, Ann?«
Sie begann zu schluchzen, verfluchter Rum, der einen so sentimental werden ließ, weswegen sie manchmal doch in Joshuas Armen lag, wenn er fertig war mit seinem Geschäft, und sich von ihm küssen ließ, obwohl sie das nicht wollte. Verfluchter Rum, der einen schwach machte, wenn man nicht genug davon getrunken hatte … Es war nie genug, flüsterten ihr die Abendstunden zu.
Schwache Menschen frisst das Leben, hatte sie einmal gehört.
»Du bist zu jung für all das hier.«
»Mein Leben liegt hinter mir, Ann«, brach es aus ihr heraus. »Ich hatte ein Kind und habe es verloren. Ein süßes kleines Mädchen, es fiel ins Wasser, zusammen mit meiner Mutter – es fiel einfach, ich weiß nicht, ob sie tot sind oder ob sie noch leben, sie sind fort, Ann – fort …«
»Ein Kind –« Ann stockte. »Wie alt war dein Kind?«
»Ein paar Wochen«, schluchzte Penelope.
»Ach, Süße, so klein noch.« Sie strich über ihren Rücken. »Du wirst darüber hinwegkommen.«
»Ich hab nicht auf sie aufgepasst. Sie ist tot, weil ich nicht aufgepasst habe. Sie ist tot, weil ich …« Die Erinnerung brachte alles zurück, was geschehen war und was der Rum in den vergangenen Monaten auf seine Rauschwolken gesetzt und davongetragen hatte. Ihre Dummheit, ihre Gier, ihre Selbstsucht – ihre Schuld. Ann war zwar verständnisvoll, aber auch neugierig und fragte daher weiter – sie hatte vom Leben auf dem Schiff nichts mitbekommen, weil sie die ganzen Monate in der Kajüte des Offiziers zugebracht hatte. Und Penelope erzählte von ihrer Mutter. Als sie erwähnte, dass auch ihr Vater nach New South Wales gebracht worden war, fing Ann an zu lachen.
»Wirklich? Ich meine – das klingt ja wie ein Märchen.«
»Vielleicht ist es ja eines.« Penelope wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Ja, vielleicht.« Ann wurde wieder ernst. »Deine Mutter und dein Kind – bist du sicher, dass sie tot sind? Hast du nach ihnen gesucht?«
Penelope starrte sie an. Langsam schüttelte sie den Kopf. Die Fragen trafen sie wie Schläge. Wie sollte sie suchen? Wo beginnen? Wen fragen?
Ann lächelte mitleidig. »Dann sind sie auch nicht tot. Sie sind tot, wenn du sie dafür hältst.«
Über den Satz musste Penelope lange nachdenken, und beide schwiegen sie.
»Liebes, sie würden dir das Kind ohnehin wegnehmen«, sagte Ann schließlich, und es sollte wohl ein Trost sein. »Sie stecken die Kleinen ins Waisenhaus, sobald sie der Brust entwöhnt sind. Damit die Frauen zurück an die Arbeit können. Keine Sträflingsfrau behält hier ein Kind.«
Penelopes Augen füllten sich wieder mit Tränen. Sie fühlte sich vollkommen überfordert.
»Ach, Liebes.« Ann nahm sie in die Arme. »Wenn du noch nicht getrauert hast, dann tu es einfach jetzt. Ich bin hier, ich kann deine Tränen tragen, Mädchen. Lass sie gehen, dann wird es leichter. Lass sie gehen …«
Anns Schulter war weich, und ein Deckenhügel polsterte das Lager zusätzlich. Und zum ersten Mal seit jenem Abend am Hafen weinte Penelope um Lily, um die Mutter und den unbekannten Vater, den sie vielleicht niemals finden würde. Und am Ende weinte sie auch um sich selber. Das schmerzte am meisten, weil es am wenigsten Erleichterung schenkte …
Ann hielt sie fest an sich gedrückt, doch sie spürte wohl, dass es für diese Art von Verlust keinen Trost geben konnte. Und so schwieg sie einfach und hielt sie, so gut sie konnte. Penelope vergrub ihr Gesicht an Anns Schulter, rieb ihre Wange über die von Tränen salzig schmeckende Haut, und als Ann sie so anfasste, wie eine Frau das ganz gewiss nicht tun durfte, wehrte sie sich nicht.
»Ich will weg von hier, Mädchen. Bei nächster Gelegenheit.«
Sie hatten die Zeit vergessen. Hatten vergessen, dass der Hirte jeden Moment heimkehren konnte, weil der Nachthimmelschon seine schwarze Decke über sie gebreitet hatte. Halbnackt lagen sie nebeneinander und starrten durch den Zelteingang auf seine Sternenstickerei. Penelopes Rumrausch war verflogen, hatte einem verwunderten Glücksgefühl Platz gemacht. Noch niemals zuvor hatte sie so empfunden, und sie wollte es in sich bewahren für alle Zeiten.
»Zu gefährlich«, murmelte Penelope und drehte sich so auf die Seite, dass sie Anns entstellte Züge im sanften Licht der Glut betrachten konnte. So dicht vor ihren Augen konnte sie jedes Fältchen und jede Narbe deutlich
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