Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Chillon)
Irgendwann war das Blut zwischen ihren Beinen getrocknet.
Sie erinnerte sich nicht mehr.
Sie erinnerte sich noch an den Doktor. An sein besorgtes Gesicht, an seine schöne Stimme. Und an die Stimme der Mutter. »Vielleicht noch zwei Monate, vielleicht weniger. Gott gebe, dass sie es verliert, das erspart viel Leid.«
An seine Hände auf ihrem Leib erinnerte sie sich auch, als er sie untersucht hatte. Und daran, dass er sie behutsam auf die Arme genommen und in diesen Winkel getragen hatte, nachdem die Aufseher die Sträflinge mit Stockhieben auseinandergetrieben und die grausige Versammlung aufgelöst hatten. In der Kammer neben der Offiziersmesse, wo Rumfässer gelagert wurden, hatte Penelope lange im Dunkeln gelegen. Der Doktor war mehrfach mit einer Laterne zu ihr gekommen, hatte sie untersucht und stumm dagesessen. Er hatte ihren Kopf gehalten, wenn sie erbrechen musste, weil die See wütender wurde und das Schiff durch die Luft warf.
Sie konnte sich an sein Gesicht erinnern. War es wirklich seines? Oder verschmolz es mit den Gesichtern, die ihr in der Dunkelheit erschienen, die ihr Mut zulächelten, aus denen sie Kraft schöpfte? Mit dem Gesicht jenes Mannes, der vor ihr hier in Ketten gelegen hatte und von dem sie manchmal träumte, dass er sie befreite und auf seinen Armen ins Licht trug … ›Stephen‹ hatte die Mutter ihren Vater genannt. Der Name war Medizin auf ihren Lippen. Der Doktor wagte es offenbar nicht, sie aus ihren Gedanken zu reißen, denn er sprach nicht. An seine fürsorglichen, freundlichen Hände aber erinnerte sie sich, Hände, die immer einen Grund fanden, sie zu berühren. Und sobald er fort war, träumte sie, sich in diese Hände zu schmiegen.
Liams vom Schmerz gepeinigten Blick wurde sie trotzdem nicht los, und manchmal hatte sie sich sogar eingebildet, seine Stimme zu hören. Ihr Herz tat so weh.
Kreuz hatte ihr von seinem Essen gebracht, hatte sie in dem dunklen Winkel damit gefüttert, Löffel für Löffel, und manches davon war sogar in ihrem Magen geblieben.
»Iss«, hatte er immer wieder gesagt, »iss, du brauchst jeden Bissen.« Tapfer hatte sie gekaut und geschluckt und sich gewundert, was er ihr da vorsetzte, bis ihr einfiel, dass er ja hochgeboren war und nicht aus dem Sträflingstopf essen musste.
Manchmal hörte sie ein Stöhnen, irgendwo hinter den Fässern. Da lag noch einer, den der Doktor wohl lieber hier versorgte, um nicht in den Gestank unter Deck klettern zu müssen, denn das eigentliche Krankenzimmer, so hatte Howard, einer der Aufseher, gemeint, war seit Rio de Janeiro bis zur Decke voll mit Rumfässern.
»Wenn wir krank werden, trinken wir einfach den Rum«, hatte Carrie gewitzelt. Howard verstand jedoch keinenSpaß, und Carries wöchentliche Rumration war mit dieser Bemerkung gestrichen. Carrie war jedoch nicht dumm. Sie machte in sengender Sonne hinter den Tauen ihre Beine für seinen Kumpel breit, stöhnte ihm ordentlich erregt was ins Ohr und bekam eine Kanne Rum dafür.
Penelope fühlte sich viel zu schwach, um auf den Knien zu dem Stöhnenden hinüberzukriechen, der hinter den Fässern lag. Es spielte auch keine Rolle, wer sich dort versteckte. Ihre Neugier indes wuchs, als ein Fluch zu hören war. Sie kroch los, an den Fässern vorbei, die mit Seilen aneinander festgebunden waren und trotzdem unter dem Wellengang heftig wackelten. Halbnackte Beine ertastete sie in einer Pfütze, nasse Lumpen bedeckten straffe Männerhaut. Der Mann lag auf dem Bauch, und als ihre Hand seinen blutigen Rücken berührte, flüsterte er nur: »Erbarmen …«
Er würde sterben. Solch eine Tortur konnte man nicht überleben. Nicht einmal Liam, den bisher kein Hieb hatte brechen können.
»Du …«, wisperte sie entsetzt. »Heilige Jungfrau – du …« Sie spürte, wie seine Finger an ihren Knien entlangfuhren, um nach ihrer Hand zu suchen.
»Sie haben es fast geschafft, mich totzuprügeln«, kam es aus den Lumpen. »Fast, Mädchen – fast.«
»Du lebst noch«, flüsterte sie erleichtert. Sie kroch ein Stück weiter und strich vorsichtig über seinen unversehrten linken Arm. Sie fühlte die Muskeln, die seinen Unterarm wie dicke Flechten umgaben, fühlte Schauder über seine Haut rinnen. Sie lächelte in die Dunkelheit hinein.
Befangenheit ergriff Besitz von ihnen. Sie hatten geteilt, was nur Liebenden zustand, selbst größtes Leid hatten sie am Tag seiner Bestrafung geteilt, und sie hatte für ihn gebetetwie für einen Liebsten. Doch wussten sie nun
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