Hexen-Horror
In der Umgebung bewegte sich nichts. Hohe Häuser bildeten die Sagenwelt der Moderne. Sie hatten die mächtigen Körper der Ungeheuer abgelöst, und manche Fenster in den glatten Fassaden waren lichterfüllt, wirkten jedoch wie die kalten Augen eines auf der Lauer liegenden Reptils.
Tagsüber herrschte hier Leben und Treiben. Das lag allein schon an einem großen Supermarkt, an dessen Rückseite sich die alte Frau aufhielt und das Licht der Lampe genoss, als sollte sie dadurch gewärmt werden. Zu dieser spätabendlichen Zeit war es still. Man hätte meinen können, Kilometer entfernt von München, der Weltstadt mit Herz, zu sein und sich in den Bergen zu befinden. Vereinzelt war das ferne Geräusch eines fahrenden Autos zu hören, aber daran störte sich die Frau nicht. Sie wartete weiter.
Aus der Entfernung betrachtet wirkte die Frau wie ein dunkles Gespenst. Wer näher an sie herantrat, sah ihr Gesicht. Dick und fleischig. Mit einer blassen Haut, auf der sich hin und wieder bläuliche Flecken abzeichneten, die möglicherweise von der Kälte hinterlassen worden waren. Sie war nicht eingefroren, denn die Augen bewegten sich. Die Pupillen sahen aus wie kalte Knöpfe, die Nase war dick, leicht gekrümmt und erinnerte an die einer Hexe aus dem Märchen.
Auf was oder wen die Person wartete, war nicht herauszufinden. Auch nicht, warum sie so allein stand, aber sie schrak plötzlich zusammen, als sie das leise Echo der Schritte horte.
Jemand kam.
Und es war die Person, auf die sie gewartet hatte...
***
Dennis Hirmer hatte noch die letzten Worte seines Trainers in den Ohren, der die Jungen ermahnt hatte, nach dem Training so schnell wie möglich nach Hause zu gehen und keine Umwege zu nehmen, denn die Dunkelheit konnte nicht eben als Freund bezeichnet werden. Außerdem war in dieser Gegend schon zu viel passiert. Überfälle, versuchte Vergewaltigungen, Raub an älteren Leuten. Das alles hatte in den Zeitungen gestanden und dem Hochhausviertel einen nicht gerade guten Ruf vermittelt.
Dennis war der Letzte, der die Sporthalle verließ. Er hatte sich beim Volleyball stark verausgabt und war länger unter der Dusche geblieben als die anderen. Danach hatte er noch sein blondes struppiges Haar gebürstet, sich in aller Ruhe abgetrocknet, angezogen und die Brille mit den beiden runden Gläsern aufgesetzt.
Das Hemd, der rote Pullover, die blaue Winterjacke, die Jeanshose, die Turnschuhe.
Er war fertig für den Abmarsch und setzte nur noch seinen Rucksack auf, den er besser fand als eine Sporttasche, weil er bequemer zu tragen war.
An der Tür stand der Trainer und klimperte schon mit den Schlüsseln. »Mal wieder der Letzte, Dennis.«
»Ja, einer muss es ja sein.«
»Da bist du Vorbild.«
»Ich lasse mir eben Zeit.«
Der Trainer lächelte. »Keinen Bock auf zu Hause?«
Dennis zog die Nase hoch. »Nee, nicht wirklich. Ist immer das Gleiche. Der Alte ist in der Kneipe, und meine Mutter heult sich die Augen aus. Dabei ist sie eine tolle Frau.«
»Ich weiß, Dennis, ich kenne deine Mutter.«
»Warum hat sie ausgerechnet diesen Arsch heiraten müssen? Mann, die hatte eine Karriere vor sich. Aber dann kam mein Alter, und schon hat es sie erwischt.«
»So ist die Liebe«, sagte der Trainer.
Dennis lachte. »Wenn sie wirklich so ist, dann kann sie mir gestohlen bleiben.«
Der Trainer musste lachen. Er hieß Gerold Mayr. Lässig schlug er Dennis Hirmer auf die Schulter. »Das sagst du jetzt mit deinen vierzehn Jahren. Warte mal, bis es soweit ist. Wenn die Richtige kommt, dann erwischt es dich wie ein Blitzstrahl.«
»Das will ich aber nicht.«
»Die Liebe fragt nicht danach.«
»Aber Sie sind auch nicht verheiratet.«
Gerold Mayr lächelte. »Man braucht nicht unbedingt einen Trauschein zu haben, um mit einem Menschen zusammenzuleben. Ich habe eine Freundin. Das reicht mir. Und wir kommen gut miteinander aus. Apropos kommen.« Er schaute auf die Uhr. »Es ist spät geworden. Sieh zu, dass du gut nach Hause kommst. Oder soll ich dich mitnehmen?«
»Nein, nicht das kurze Stück. Das ist unnötig. Da gehe ich lieber zu Fuß.«
»Wie du willst, Dennis. Wir sehen uns dann zum Spiel.« Der Trainer wollte gehen, doch er sah, dass Dennis noch etwas auf dem Herzen hatte. Er sprach es zwar nicht aus, weil er nie so richtig aus sich herausgehen konnte, aber Mayr kannte seinen Schützling lange genug. Er wusste genau, wann Dennis Probleme hatte.
»Was hast du denn noch, mein Freund?«
Dennis senkte den Blick, als wäre
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