Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
eilte im Laufschritt herbei. Durch die aufgeregten Rufe war das Wort »Meuterei!« zu hören.
Aufseher und Offiziere drängten alle Gefangenen zusammen, diesmal ohne Unterschied, ob Mann oder Frau. Ihre Nervosität, ob nun wirklich eine Meuterei losging, war deutlich zu spüren. Meuterei – der Alptraum aller Seefahrer.
Mit Stöcken und Peitschen trieben sie die Menschen zusammen, jemand riss Penelope am Arm, und sie fühlte, wie Jenny sich von hinten an sie klammerte. Daher traf der Stockhieb auch die alte Frau und nicht Penelope. Jenny sackte stumm zusammen.
Zwei Aufseher hatten derweil den Iren zu Boden geworfen und ihm die Arme auf den Rücken gedreht. Der Kapitän stand mit seinem Unteroffizier vor ihnen und beriet sich mit ihm. Die Ruhe, mit der er sprach, wirkte eiskalt.
»Der arme Kerl«, raunte Carrie von hinten. »Sie rechnen vermutlich aus, wie viele Schläge das kostet – und wir dürfen zuschauen. Diese verdammten Schweine – in die Hölle mit ihnen allen!«
In die Hölle ging jedoch allein der Ire. Carrie sollte mit ihrer Annahme recht behalten, dass Liam vor der ganzen Gefangenenmeute ausgepeitscht werden sollte. Die Aufseher warteten damit nicht lange – zu gefährlich schien ihnen die ganze Situation mit den aufgebrachten Männern und den flennenden Weibern, von denen es sogar einige wagten, um Gnade für den Iren zu bitten.
»Zweihundert Streiche!«, rief der Kapitän sein Urteil aus. »Und dann wollen wir sehen, ob du weiter meuterst.«
»Zweihundert!«, raunte es durch die Menge. »Zweihundert …«
Niemand überlebte zweihundert Peitschenhiebe.
Man schleifte Dr. Reid aus seinem Bett an Deck, damit er die Peitsche überprüfte und die Auspeitschung überwachte – die üblichen Aufgaben eines Doktors. Kreuz hatte sich, so raunte eine Frau, schlicht geweigert, der Kapitän habe seinem Protest aber keine Beachtung geschenkt.
Die beiden für den Strafvollzug ausersehenen Aufseher banden den Iren so an den Mastbaum, als ob er ihn umarmen wollte. Und dann schlugen sie zu. Sie waren geübt, sie kannten sich aus mit der neunschwänzigen Katze. Ihre Schläge wechselten sich ab. Wie der Takt einer Trommel klatschten die Enden der gefürchteten Peitsche auf den Rücken, wieder und wieder. Die Katze fraß erst die Haut, dann hieb sie ihre Zähne in das Fleisch. Man hatte die anderen Sträflinge nah an den Ort der Urteilsvollstreckung herangetrieben. Penelope landete ganz vorn.
Liam sah sie an, als der erste Schlag ihn traf. Sein Gesicht verzog sich zu einer wilden Grimasse des Schmerzes. Doch kein Ton war von ihm zu hören. Nur der Blick wurde dunkler, intensiver und ließ sie nicht los, als wäre sie sein einziger Halt, während das Blut in alle Richtungen spritzte.
Eine der Frauen begann zu beten. Monoton begleitete ihre Stimme das Lied der Katze, reihte Fürbitte an Fürbitte …
»Gott unser Vater – erbarme dich unser. Gott, der Sohn, erbarme dich unser.«
»Erbarme dich unser«, fielen zwei andere Frauen mit ein.
»Gott, der heilige Geist, erbarme dich unser«, betete eine dritte. Die Katze fauchte durch die Luft. »Heilige Dreifaltigkeit … Von allem Übel und Unheil, von Stolz, Eitelkeitund Heuchelei, von Neid, Hass und Missgunst und von allem Vorsatz erlöse uns, guter Gott.« Penelope hatte niemals viel gebetet, doch jetzt, da sie spürte, wie sehr sie für den geschundenen Mann Halt und Hoffnung war, kamen ihr die Worte wie von selbst über die Lippen – für ihn. Liam schloss die Augen, als die Katze erneut ihre Krallen ausfuhr und ein Stück seines Rückens fraß.
»Von den Sünden von Körper und Geist, von den Versuchungen der Welt, des Fleisches und des Teufels erlöse uns, guter Gott.« Die Kleider der Umstehenden waren gesprenkelt vom Blut des Ausgepeitschten.
»In Zeiten der Trauer, in Zeiten der Freude, in der Stunde unseres Todes und am Jüngsten Tag, erlöse uns, guter Gott …«
Die Katze schrie ärgerlich, als ihr Opfer mit einem letzten Blick auf Penelope die Besinnung verlor. Ein scharfer Stich durchfuhr Penelopes Herz, und sie begann zu schreien. Dennoch führten die Henker ihre düstere Aufgabe bis zum Schluss aus. Zehn Schläge fehlten noch, und der im Rumnebel gefangene Dr. Reid wusste keinen Grund dagegen anzuführen. Den letzten Schlag erlebte Penelope nicht mehr. Sie sank auf die Schiffsplanken.
4. Kapitel
I know not why
I could not die
I had no earthly hope but faith
And that forbade a selfish death.
(Lord Byron, The prisoner of
Weitere Kostenlose Bücher