Der Duft des Apfelgartens
Vase ist aus echtem Silber, und dieses kostspielige Zeichen der Zuneigung zu ihr hatte sie sowohl schockiert als auch entzückt. Behutsam hatte sie das Geschenk geöffnet und war sich Jakeys Aufregung und Clems leichter Besorgnis bewusst gewesen. Ihr Entzücken hatte beide gefreut, und sie hatten einen erleichterten Mann-zu-Mann-Blick gewechselt, der Janna belustigt hatte.
»Ich finde sie wunderbar«, sagte sie. »Sie ist wirklich schön«, und sie stellte die Vase auf den Tisch, zog die verschlungenen Ziselierungen mit dem Finger nach und umarmte dann Jakey. Clem umarmte sie nicht: Clem ist kein Mensch, den man so einfach in den Arm nimmt; nicht wie Dossie, seine Mum, oder Schwester Emily zum Beispiel. Zum einen ist Clem sehr groß und sehr schlank, und er hat etwas Asketisches an sich. Dossie hatte das Wort einmal gebraucht: »Der gute Clem ist ein wenig asketisch, nicht wahr?« – ziemlich wie Vater Pascal. Janna liebt Vater Pascal, weil er niemals in Zweifel zieht, was sie sagt, und kein Urteil über sie fällt. Daher hat sie ihm nach einer Weile von sich erzählt: vom Verschwinden ihres Vaters noch vor ihrer Geburt, als ihre Mum noch selbst fast ein Kind gewesen war. Davon, wie sie auf der Straße gelebt haben und wie sie dann, später, in Pflegefamilien gekommen war, weil ihre Mum zu viel getrunken hatte, und wie sie immer wieder aus ihren Pflegestellen weggelaufen war und versucht hatte, ihre Mum zu finden.
»Das Reisen hat uns gefehlt«, erklärte sie ihm. »Immer unterwegs zu sein. Andere Orte zu sehen. Am Ende, als sie im Rollstuhl saß, konnte sie es nicht ertragen. Ich bin genauso. Trains and boats and planes … « Sie summte die Melodie. »Keine Ahnung, warum.«
»Wir alle sind Pilger«, meinte Vater Pascal nachdenklich. »Auf die eine oder andere Weise, nicht wahr? Immer auf der Suche nach etwas.«
Janna verknotet den Schal im Nacken und hält inne, um dem großen Topf mit Winter-Stiefmütterchen, der neben dem Treppchen steht, Ehre zu erweisen. Die Blüten, die cremeweiß, golden und lila sind, wenden der Wintersonne ihre hübschen, seidigen Gesichter zu. Sie erschauert und kriecht tiefer in die warme Wolljacke. Dossie hat sie ihr geschenkt. Sie ist fast knielang, aus weicher violetter Wolle, elegant und wunderbar warm. Als Janna dieses Mal ihr Geschenk geöffnet hat, konnte sie ihre Rührung nicht verbergen. Sie und Dossie umarmten sich, und auch in den Augen der Älteren glänzten Tränen. Es war das, was Dossie »einen dieser Momente« nennt; aber sie hat viele solcher Augenblicke: Schokoladenkuchen zum Kaffee kann einer sein oder schnell für eine Stunde nach Padstow hineinzufahren, um die Sonne zu genießen und dann an der Hafenmauer Fish and Chips zu essen. »Ich glaube, wir brauchen einen ›Moment‹, Liebes.« Mit ihren »Momenten« zelebriert Dossie das Leben, und Janna akzeptiert sie voller Freude, denn sie versteht sie. Auch sie hat eine Leidenschaft für Picknicks, improvisierte Mahlzeiten und spontane Ausflüge.
Ihre eigenen Weihnachtsgeschenke an die anderen fielen weit einfacher aus: für Jakey ein Malbuch mit Thomas, der kleinen Lokomotive, zwei gepunktete Taschentücher für Clem und ein hübsches Stück Porzellan vom Markt für Dossie. Janna verdient nicht viel, lebt aber in ihrem Wohnwagen mietfrei, und sie bekommt in der Klosterküche gut zu essen und schätzt sich glücklich: Das ist viel besser, als in der Sommersaison in Pubs zu kellnern und während der Wintermonate jeden Job anzunehmen, der sich einem bietet.
Von dieser Stelle hat Janna gehört, als sie am Ende der Saison in Padstow arbeitete, und eines windigen Nachmittags kam sie zu Fuß von Trevone hier herauf. Sie ließ die Surfer, denen sie sich angeschlossen hatte, am Strand zurück und ging im Sonnenschein des späten September über die Klippen. Sie kam über den Klippenpfad. Die Möwen kreischten über der auslaufenden Flut, und der Wind wehte in ihrem Rücken.
»Der Westwind hat sie hergeweht«, pflegt Schwester Emily strahlend zu sagen, »und das war ein wunderbarer Tag für uns.«
Merkwürdig, denkt Janna, wie schnell sie sich hier zu Hause gefühlt hat. Schon als sie zwischen den beiden hohen Granitsäulen hindurchschritt, das Pförtnerhäuschen passierte und die Auffahrt entlangging, hatte sie das Gefühl, nach Hause zu kommen. Das große Gebäude aus Granit inmitten seiner Felder, das sich, umgeben von Gärten und dem Obsthain, gen Westen wandte, war so wunderschön und friedlich. Doch sogar trotz des
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