Jerry Cotton - 0554 - Das Geheimnis der Millionenbande
Carl Dippin, 42 Jahre alt, ausgebildet im Schießen und in Selbstverteidigung, seit acht Jahren Kassenbote der Privatbank Sawyer and Son, New York, verließ die Schalterhalle wenige Minuten nach neun Uhr. Er trug die lederbezogene Stahlkassette in der linken Hand. Ein daumendickes Kabel aus Edelstahl, verschweißt mit der Kassette und der Schelle um sein Handgelenk, machte es unmöglich, einem lebendigen oder toten Dippin die Kassette zu entreißen, denn die Schlüssel wurden jeweils in den Filialen auf bewahrt, zwischen denen der Bote die Transporte auszuführen hatte.
Als Dippin die Treppe vom Bankeingang zur Straße hinunterging, lag seine rechte Hand den Vorschriften entsprechend am Griff der Pistole unter der Jacke. Nur die Breite des Bürgersteigs trennte ihn von dem Wagen, in dem sein Kollege Creuter hinter dem Steuer wartete.
Die Schüsse fielen, als Dippin ungefähr die Mitte des Bürgersteiges erreicht hatte. Creuter sah den Kassenboten zusammenbrechen. Er verlor ein oder zwei Sekunden, bevor er nach seiner Waffe greifen konnte. Als seine Finger den Griff berührten, zerschlugen zwei Kugeln die Windschutzscheibe. Sie trafen den Mann im Gesicht. Über dem Steuer brach Creuter zusammen.
Die vier Schüsse fielen so rasch hintereinander, daß die zahlreichen Passanten erst auseinanderspritzten, als ein roter Rettungswagen mit heulender Sirene heranschoß, auf den Bürgersteig auffuhr und hart neben dem reglosen Carl Dippin stoppte. Zwei Männer in weißen Hosen und weißen Jacken, der üblichen Kleidung des Unfallrettungsdienstes, sprangen heraus, packten Dippin auf eine Bahre, verluden ihn und bahnten sich mit Sirenengeheul einen Weg in den Strom der Fahrzeuge. Niemand hinderte sie. Alle Augenzeugen hielten es für einen glücklichen Zufall, daß der Rettungswagen sich in der Nähe befand.
Vier Stunden später entdeckte eine Cop-Streife den Rettungswagen einige Häuserblocks von der Bank entfernt auf dem Gelände eines stillgelegten Neubaus.
Die Leiche Carl Dippins wurde zwei Tage später aus dem Hudson gefischt. Der Arzt stellte am linken Arm schwere Brandwunden fest. An dieser Stelle hatten die Gangster das Edelstahlkabel mit einem Schweißbrenner getrennt.
Die Beute betrug genau hunderttausend Dollar; tausend Scheine zu je einhundert Dollar.
Nur einmal im Jahr fiel bei der Firma Crosbeen Inc. eine Lohnzahlung in Bargeld an. Crosbeen sen. ließ es sich nicht nehmen, am letzten Tag vor den Betriebsferien seinen Arbeitern und Angestellten die Werksprämie für treue Mitarbeit in funkelnagelneuen Dollarnoten auszuhändigen. Die Geldscheine bestellte er rechtzeitig bei seiner Geschäftsbank Anders, Willington and Orson, in Wallstreet gewöhnlich Awo-Bank genannt. Da die Firma über fünfhundert Arbeiter und Angestellte beschäftigte, wurden für Mr. Crosbeens Marotte zwischen einhundertundzwanzig bis einhundertundfünfzigtausend Dollar benötigt.
Den Transport führten Angehörige des Betriebes in einem Wagen der Firma durch. Sie wurden von zwei Polizeibeamten auf Motorrädern begleitet. Die Geldscheine lagen in einem abgeschabten Lederkoffer aus Mr. Crosbeens Besitz. Mit diesem Koffer in der Hand war Mr. Crosbeen vor fünfzig Jahren als Vertreter über Land gezogen. Wenn die Prämienverteilung begann, stand dieser Koffer offen auf dem Tisch, vollgepackt mit Dollarnoten, und Mr. Crosbeen pflegte seine Geschenke mit Hinweisen auf seine Karriere zu würzen.
Die Motorrad-Cops begleiteten wie gewöhnlich den Wagen bis zur Einfahrt auf das Werksgelände. Dann drehten sie ab, während der Wagen vor dem Hintereingang des Bürotraktes stoppte. Hewitt Shonan, der erste Buchhalter, stieg aus. Er trug schwer an dem historischen Crosbeen-Koffer. Mit ihm stiegen zwei Männer des Werkschutzes aus.
Die Schüsse fielen, als Shonan den Fuß auf die Treppe zum Hintereingang setzte. Sie töteten den Buchhalter und verletzten beide Werkschutzmänner schwer. Gleichzeitig scherte ein Lieferwagen aus der Reihe von Fahrzeugen aus, die vor der Lagerhalle der Firma auf Beladung warteten. Mit steigender Geschwindigkeit raste der Wagen quer über den Fabrikhof. Aus dem Seitenfenster wurden in rascher Folge ein halbes Dutzend Tränengasbomben geschleudert. Sie zerplatzten mit einem scharfen Knall. Zischend entwichen weiße Schwaden, unter den Menschen auf dem Werksgelände brach eine Panik aus.
Der Lieferwagen stoppte vor dem Hinterausgang. Ein Mann in einem Overall und mit einer Gasmaske vor dem Gesicht sprang von der
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