Der dunkle Punkt
Wochen hab’ ich sie aus Jack O’Learys Bar ‘rauskommen sehen. Sie war nicht allein.«
»War ein Mann bei ihr?« fragte ich.
»Ja, Sir.«
»Aber den Mann kannten Sie nicht, wie?«
»Nein, Sir. Es war ein großer Mann mit langen Armen und sehr großen Händen. Er trug eine Aktentasche.«
»Wie alt?«
»So zwischen fünfzig und fünfundfünfzig vielleicht. Genau weiß ich das nicht mehr, Sir. Er war mir ganz fremd. Aber an das Mädchen erinnere ich mich noch sehr gut, weil es doch immer hier gegessen hat - da drüben an dem Tisch. Ich hab’ es immer bechent.«
»Ist Ihnen sonst noch was an dem Mann aufgefallen?« erkundigte ich mich.
Der Kellner dachte angestrengt nach und antwortete dann: »Ja, Sir.«
»Was denn?«
»Es sah aus, als hätte er was im Mund.«
Bei dieser Auskunft ließ ich es bewenden, bezahlte den Kaffee, schlenderte zum Kugelspiel hinüber, beobachtete einige Minuten lang die drei .Männer und verdrückte mich schließlich unauffällig.
Ich schlenderte die Straße entlang und steuerte Jack O’Learys Bar an. Um diese Tageszeit war das Lokal fast leer. Ich schwang mich auf einen Barhocker und bestellte einen Gin mit Seven-Up. Der Barmann brachte mir meinen Drink, bechente einen anderen Kunden, kam zurückgeschlurft und lehnte sich gelangweilt gegen die Theke.
»He, hier hat jemand was verloren!« rief ich erstaunt.
Der Barmann drehte sich zu mir um.
Ich hielt ihm ein Foto von Roberta Fenn vor die Nase. »Es lag mit der Rückseite nach oben hier auf dem Hocker neben mir «, erklärte ich. »Zuerst dachte ich, es wäre nur ein Stück Papier, und wollte es schon wegwerfen. Aber dann sah ich, daß es ein Foto ist.«
Er betrachtete es genau und runzelte verblüfft die Stirn.
»Die Eigentümerin muß es vergessen haben. Wahrscheinlich ist sie eben erst weggegangen.«
Nachdenklich schüttelte er den Kopf. »Nein. Heute ist sie bestimmt nicht hier gewesen, aber gesehen hab’ ich sie schon mal. Möchte nur wissen, wie das Foto auf den Hocker geraten ist. Hier war sie, ziemlich oft sogar, muß aber schon ‘ne ganze Weile her sein.«
»Kennen Sie sie?« fragte ich.
»Wenn ich sie sehe, erkenne ich sie bestimmt wieder, aber wie sie heißt, weiß ich nicht.«
Gelassen steckte ich das Bild ein. Er starrte mich unschlüssig an, offenbar im Zweifel darüber, ob es sich hier nicht um die widerrechtliche Aneignung fremden Eigentums handelte. Aber dann zuckte er gleichgültig mit den Schultern und schlurfte zu einem anderen Gast hinüber.
Ich trank mein Glas aus, verließ die Bar und schlenderte bis zur nächsten Kreuzung, blieb stehen und überlegte. Wo konnte ich mich jetzt noch nach Roberta Fenn erkundigen? Ich versuchte, mich an die Stelle einer jungen Frau zu versetzen, die auf ihr Äußeres Wert legt und nicht viel zu tun hat. Auf der anderen Straßenseite, ein Stückchen weiter unten, befand sich ein Frisiersalon. Eine rundliche Frau, die Menschenfreundlichkeit und gute Laune ausstrahlte, kam zur Tür, als sie mich unschlüssig davorstehen sah.
»Womit kann ich Ihnen chenen?« fragte sie.
»Ich bin auf der Suche nach einer Frau, die zu Ihren Kundinnen gehört«, erklärte ich und holte ein Foto von Roberta Fenn aus der Tasche.
Sie warf einen Blick darauf und war sofort im Bilde. »O ja, die Dame kenne ich. Sie war seit etwa zwei Jahren nicht mehr hier, aber damals kam sie ganz regelmäßig. Ich glaubte, sie stammte aus Boston oder Detroit oder irgendwo da oben aus dem Norden. Ihr Name fällt mir im Moment nicht ein. Als sie das erstemal zu mir kam, war sie auf der Stellungssuche, aber später sprach sie nie weder davon.«
»Vielleicht hatte .sie inzwischen Arbeit gefunden.«
»Nein, das glaube ich nicht. Sie kam nämlich immer wochentags her, so gegen zwölf und manchmal noch später. Gegen elf ging sie meistens frühstücken. Sie wohnte ganz in der Nähe. Ich konnte sie vom Laden aus sehen. Ziemlich oft ging sie sogar erst am Nachmittag aus.«
»Sie wissen nicht, ob sie noch in New Orleans ist?«
»Nein. Aber wenn sie noch hier wäre, hätte sie mich bestimmt mal besucht. Wir hatten uns nämlich angefreundet, wissen Sie. Sie interessierte sich für meine Arbeit und plauderte gern mit mir über alles mögliche. Ich glaube, sie war... Aber wieso interessiert Sie das eigentlich?«
»Ach, ich... Sie ist nämlich ein furchtbar nettes Mädchen, und mir liegt sehr viel daran, sie wiederzufinden. Aber manchmal ist man eben wie vernagelt. Ich hätte sie nicht gehen lassen
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