Der Dunkle Turm 1 - Schwarz
anzuerkennen. Es war Jahre her – großer Gott! –, Jahrhunderte, Jahrtausende; es gab keine Hochsprache mehr, er war der letzte, der letzte Revolvermann. Die anderen waren…
Er griff benommen in die Brusttasche und holte ein Goldstück heraus. Die rissige, schorfige Hand griff danach, liebkoste es, hielt es hoch, damit sich der fettige Schein der Petroleumlampen darin spiegelte. Es reflektierte sein stolzes, zivilisiertes Glühen; golden, rötlich, blutig.
»Ahhhh…« Ein unartikulierter Freudenlaut. Der alte Mann drehte sich wankend um und ging zu seinem Tisch zurück, wobei er die Münze in Augenhöhe hielt, sie drehte, sie blitzen ließ.
Der Raum leerte sich rasch, die Flügeltür schwang wie von Sinnen hin und her. Der Klavierspieler klappte den Deckel des Instruments mit einem Poltern zu und folgte den anderen mit ausgreifenden, einer komischen Oper würdigen Schritten hinaus.
»Sheb!« schrie die Frau ihm nach, und ihre Stimme drückte eine seltsame Mischung aus Angst und Boshaftigkeit aus. »Sheb, komm sofort zurück! Gottverdammt!«
Derweil war der alte Mann zu seinem Tisch zurückgekehrt. Er ließ das Goldstück auf dem abgenutzten Holz kreisen, seine tot-lebendigen Augen folgten ihm mit leerer Faszination. Er ließ sie ein zweites Mal kreisen, und ein drittes Mal, da sanken ihm die Lider herab. Beim vierten Mal sank sein Kopf auf die Tischplatte, bevor die Münze aufgehört hatte, sich zu drehen.
»So«, sagte sie leise und wütend. »Jetzt haben Sie meine Kundschaft vertrieben. Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Die kommen wieder«, sagte der Revolvermann.
»Heute abend nicht mehr.«
»Wer ist er?« Er deutete auf den Grasesser.
»Gehen Sie…« Sie beendete den Satz, indem sie einen unmöglichen Akt der Masturbation beschrieb.
»Ich muß es wissen«, sagte der Revolvermann geduldig. »Er…«
»Er hat komisch mit Ihnen geredet«, sagte sie. »Nort hat in seinem ganzen Leben noch nicht so gesprochen.«
»Ich suche einen Mann. Sie dürften ihn kennen.«
Sie sah ihn an, und ihr Zorn verrauchte. Er wurde von Grübeln verdrängt, dann von einem aufgekratzten feuchten Glanz, den er schon früher gesehen hatte. Das baufällige Gebäude ächzte nachdenklich vor sich hin. Weit entfernt bellte plärrend ein Hund. Der Revolvermann wartete. Sie sah sein Wissen, und der Glanz wurde von Hoffnungslosigkeit verdrängt, von einem dumpfen Verlangen, das sich nicht ausdrücken ließ.
»Sie kennen meinen Preis«, sagte sie.
Er sah sie unverwandt an. Im Dunkeln würde die Narbe nicht zu sehen sein. Ihr Körper war so mager, daß Wüste, Sand und Staub nicht alles hatten abnützen können. Und sie war einmal hübsch gewesen, vielleicht sogar schön. Nicht, daß das eine Rolle gespielt hätte. Es hätte keine Rolle gespielt, wenn Grabkäfer in der unfruchtbaren Schwärze ihres Schoßes genistet hätten. Es stand alles geschrieben.
Sie legte die Hände vor das Gesicht, und sie hatte immer noch Flüssigkeit in sich – genug, um zu weinen.
» Sieh nicht her ! Du mußt mich nicht so gemein ansehen!«
»Tut mir leid«, sagte der Revolvermann. »Ich wollte nicht gemein sein.«
»Das will keiner von euch!« schrie sie ihn an.
»Mach das Licht aus.«
Sie weinte mit vors Gesicht geschlagenen Händen. Er war froh darüber, daß sie die Hände vor dem Gesicht hatte. Nicht wegen der Narbe, sondern weil ihr das die Weiblichkeit wiedergab, wenn schon nicht ihren Kopf. Die Nadel, die den Träger ihres Kleides hielt, glitzerte im fettigen Licht.
»Mach das Licht aus und schließ ab. Wird er etwas stehlen?«
»Nein«, flüsterte sie.
»Dann mach das Licht aus.«
Sie nahm die Hände erst weg, als sie hinter ihm war, und sie löschte die Lampen eine nach der anderen, drehte die Dochte herunter und blies dann die Flammen aus. Sie ergriff seine Hand im Dunkeln, und sie war warm. Sie führte ihn nach oben. Dort war kein Licht, ihren Akt zu verbergen.
6
Er drehte im Dunklen Zigaretten, dann zündete er sie an und gab ihr eine. Ihr Geruch war im Zimmer, frischer Flieder, pathetisch. Der Geruch der Wüste überlagerte ihn, verkrüppelte ihn. Er war wie der Geruch des Meeres. Er stellte fest, daß er sich vor der vor ihm liegenden Wüste fürchtete.
»Sein Name ist Nort«, sagte sie. Die Schroffheit war nicht aus ihrer Stimme geschwunden. »Nur Nort. Er ist gestorben.«
Der Revolvermann wartete.
»Er wurde von Gott berührt.«
Der Revolvermann sagte: »Ich habe Ihn nie gesehen.«
»Er war hier, seit ich mich
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