Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
das sich die Glut des Sonnenuntergangs mengte.
Steinerne Stufen, eben breit genug für einen einzelnen Menschen, führten in die Höhe.
»Jetzt kommt Roland!«, rief er, und seine Worte schienen sich ins Unendliche emporzuwinden. »Hört mich, ihr im Obergeschoss, und heißt mich gütig willkommen. Seid ihr meine Feinde, so wisst, dass ich unbewaffnet und nicht in böser Absicht komme.«
Er begann den Aufstieg.
Neunzehn Stufen brachten ihn zum ersten Treppenabsatz (und zu jedem darauf folgenden). Hier stand eine Tür offen, hinter der ein kleiner runder Raum lag. In die Steine seiner Wand waren tausende von sich überlappenden Gesichtern eingehauen. Viele erkannte er (eines davon war das Gesicht Calvin Towers, der listig über ein aufgeschlagenes Buch hinwegblickte). Die Gesichter waren ihm zugewandt, und er hörte sie murmeln:
Willkommen, Roland, du von den vielen Meilen und vielen Welten; willkommen, du aus Gilead, du von Eld.
Jenseits des Raums befand sich eine weitere Tür zwischen mit Gold abgesetzten dunkelroten Portieren. In ungefähr eindreiviertel Meter Höhe – genau in Rolands Augenhöhe – befand sich ein kleines rundes Fenster, nur wenig größer als das Guckloch eines Banditen. Für einen Augenblick nahm er einen süßen Geruch wahr, und diesen konnte er gleich bestimmen: Er stammte von dem Duftkissen, das seine Mutter ihm zunächst in die Wiege und später in sein erstes richtiges Bett gelegt hatte. Der Geruch brachte jene Tage mit großer Klarheit zurück, so wie Gerüche es stets tun; wenn einer unserer Sinne uns als Zeitmaschine dienen kann, dann ist es der Geruchssinn.
Dann war er ebenso verschwunden wie der bittere Alkaligeruch.
Der Raum war unmöbliert, auf dem Fußboden jedoch lag ein einzelner kleiner Gegenstand. Roland trat darauf zu und hob ihn auf. Bei dem Ding handelte es sich um eine kleine Klammer aus Zedernholz, die mit einer Schleife aus blauem Seidenband geschmückt war. Solche Klammern hatte er vor vielen Jahren in Gilead gesehen; er musste selbst einmal eine getragen haben. Schnitt die Hebamme die Nabelschnur eines Neugeborenen durch, um Mutter und Kind zu trennen, wurde über dem Nabel des Säuglings eine solche Klammer angebracht, die dann dort verblieb, bis der Rest der Nabelschnur – und die Klammer mit ihr – abfiel. (Der Nabel selbst hieß Tet-ka can Gan.) Die Seidenschleife zeigte, dass die Klammer einem Jungen gehört hatte. Bei einem Mädchen wäre sie rosa gewesen.
’s war meine eigene, dachte Roland. Er betrachtete sie noch eine Weile lang fasziniert, dann legte er sie behutsam dorthin zurück, wo sie gelegen hatte. Wo sie hingehörte. Als er sich wieder aufrichtete, sah er das Gesicht eines Neugeborenen
(Kann das mein liebstes Bah-bo sein? Wenn du’s sagst, dann soll’s so sein!)
zwischen all den anderen. Es war verzerrt, als hätte ihm sein erster, schon vom Tod verpesteter Atemzug außerhalb des Mutterleibs nicht gefallen. Bald würde es sein Urteil über seine neuen Lebensumstände durch einen schrillen Schrei abgeben, der durch die Gemächer Stevens und Gabrielles hallen und bei den Freunden und Dienstboten, die ihn hörten, ein erleichtertes Lächeln hervorrufen würde. (Nur Marten Broadcloak würde ein finsteres Gesicht machen.) Die Geburt war vorüber, und das Kind war lebend zur Welt gekommen, sagt Gan und allen Göttern euren Dank. In der Linie des Eld gab es einen Stammhalter – und somit weiterhin eine minimale Chance, der jammervolle Abstieg der Welt in den Ruin könnte aufgehalten, wohl gar ins Gegenteil verkehrt werden.
Als Roland diesen Raum verließ, war sein Déjà-vu-Gefühl stärker als je zuvor. Und auch das Gefühl, sich im Körper von Gan selbst zu befinden.
Er wandte sich der Treppe zu und setzte seinen Aufstieg fort.
4
Weitere neunzehn Stufen brachten ihn zum zweiten Treppenabsatz und dem nächsten runden Raum. Hier waren Stofffetzen auf dem Fußboden verstreut. Roland zweifelte keinen Augenblick daran, dass dies einst eine Säuglingswindel gewesen war, die ein bestimmter reizbarer Eindringling zerfetzt hatte, der dann auf den Balkon hinausgetreten war, um nochmals einen Blick auf das Rosenfeld zu werfen, und dort in Gefangenschaft geraten war. Er war ein Wesen von monumentaler Verschlagenheit, voll übel wollender Klugheit … aber zuletzt hatte er sich doch vertan und würde nun bis in alle Ewigkeit dafür büßen.
Wenn er nur einen Blick auf die Rosen werfen wollte, weshalb hat er dann seine Munition auf den
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