Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Name für Name. Er rief Eddies und Susannahs Namen. Er rief Jakes Namen und zuletzt seinen eigenen. Als sein Klang verhallt war, ertönte ein gewaltiger Hornstoß – nicht vom Turm selbst, sondern von den Rosen, die seine Umgebung in weitem Umkreis wie ein Teppich bedeckten. Dieses Horn war die Stimme der Rosen, die ihn mit königlichem Schmettern willkommen hieß.
In meinen Träumen war das stets mein Hifthorn, dachte er. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, habe ich meines doch mit Cuthbert auf dem Jericho Hill verloren.
Von oben kam eine flüsternde Stimme: Sich zu bücken und es aufzuheben wäre das Werk von drei Sekunden gewesen. Sogar inmitten von Rauch und Tod. Drei Sekunden. Zeit, Roland – darauf läuft es immer wieder hinaus.
Das war, glaubte er, die Stimme des Balkens – des einen, den sie gerettet hatten. Sprach er aus Dankbarkeit, hätte er sich die Mühe sparen können, denn was nutzten solche Worte ihm jetzt noch? Roland erinnerte sich an eine Zeile aus Brownings Gedicht: Ein Schmack des alten Glücks hilft fürder schreiten.
Das war nie seine Erfahrung gewesen. Wie er aus eigenem Erleben wusste, machten Erinnerungen nur traurig. Sie waren die Nahrung von Poeten und Narren: Süßigkeiten, die in Mund und Kehle einen bitteren Nachgeschmack hinterließen.
Roland blieb für einen Augenblick zehn Schritte von der Geisterholztür im Erdgeschoss des Turms entfernt stehen und ließ die Stimme der Rosen – diesen Hörnerklang zu seiner Begrüßung – verhallen. Das Déjà-vu-Gefühl war weiterhin stark, fast als wäre er tatsächlich schon einmal hier gewesen. Und natürlich war er hier gewesen – in zehntausend die Wirklichkeit vorwegnehmenden Träumen. Er sah zu dem Balkon auf, auf dem der Scharlachrote König gestanden und versucht hatte, dem Ka zu trotzen und ihm den Weg zu versperren. Dort, in Kopfhöhe über der Holzkiste, in der die wenigen übrig gebliebenen Schnaatze gelegen hatten (der alte Wahnsinnige hatte anscheinend doch keine weiteren Waffen besessen), sah er zwei rote Augen, die in der sich verdunkelnden Luft schwebten und mit unauslöschlichem Hass auf ihn herabstarrten. Hinter ihnen verloren die dünnen schwebenden Silberfäden der Sehnerven (jetzt vom Licht der untergehenden Sonne rötlichorange getönt) sich im Nichts. Der Revolvermann vermutete, dass die Augen des Scharlachroten Königs nun bis in alle Ewigkeit dort oben verharrten und übers Can’-Ka No Rey hinausblickten, während ihr Besitzer durch die Welt irrte, in die Patricks zauberisches Künstlerauge und sein Radiergummi ihn verbannt hatten. Oder, was wahrscheinlicher war, durch den Raum zwischen den Welten irrte.
Roland folgte dem Pfad bis zu der Stelle, wo er vor der mit Eisenbändern beschlagenen massiven Tür aus schwarzem Geisterholz endete. Ungefähr in Dreiviertelhöhe war ein Sigul eingeschnitzt, das er inzwischen gut kannte:
Hier legte er zwei Gegenstände nieder, den Rest seiner Gunna: Tante Talithas silbernes Kreuz und den ihm verbliebenen Sechsschüsser. Als er sich wieder aufrichtete, sah er, dass die erste Gruppe von Hieroglyphen verblasst war:
NICHTGEFUNDEN hatte sich in GEFUNDEN verwandelt.
Er hob die Linke, als wollte er anklopfen, aber bevor er die Tür berühren konnte, ging sie von selbst auf und gab den Blick auf die unteren Stufen einer aufsteigenden Wendeltreppe frei. Zugleich hörte er eine Stimme, die wie ein Seufzen klang: Willkommen, Roland, du aus dem Geschlecht des Eld. Das war die Stimme des Dunklen Turms. Dieser Bau war keineswegs aus Stein, auch wenn er steinern aussehen mochte; er war ein lebendes Wesen, vermutlich Gan selbst, und der Puls, den Roland schon aus tausend Meilen Entfernung tief in seinem Kopf gespürt hatte, war stets die pulsierende Lebenskraft von Gan gewesen.
Commala, Revolvermann. Commala-come-come.
Und dann wehte ihm der Hauch von Alkali entgegen, bitter wie Tränen. Der Geruch von … was? Nach was genau? Bevor er den Geruch einordnen konnte, hatte dieser sich wieder verflüchtigt, sodass Roland annahm, ihn sich nur eingebildet zu haben.
Er trat über die Schwelle, und das Lied des Turms, das er sein Leben lang gehört hatte – schon in Gilead, wo es in den Wiegenliedern, die seine Mutter ihm gesungen hatte, verborgen gewesen war –, verstummte schließlich. Ein weiteres Seufzen. Die Tür fiel krachend zu, aber er blieb nicht in schwarzer Nacht zurück. Das verbleibende Licht kam vom Leuchten der spiralförmig angeordneten Fenster, in
Weitere Kostenlose Bücher