Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
rauchte, wobei er die Hintertür einen Spalt weit öffnete, damit der Rauch abziehen konnte.
Er hastete nach vorn durchs Haus zurück – auf Strumpfsocken, um seine Mutter nicht zu wecken – und spähte durch das Fenster neben der Haustür. Der Hof lag leer da, und auf der regennassen Straße war keine Spur von Big Kells zu sehen. Tim hatte nichts anderes erwartet. Kells würde jetzt im Gitty’s sein und möglichst viel von seinem noch verbliebenen Geld in Fusel umsetzen, bevor er schließlich bewusstlos zusammenklappte.
Hoffentlich schlägt ihn jemand zusammen und zahlt es ihm mit gleicher Münze heim. Wenn ich groß genug wäre, würde ich das selbst besorgen.
Tim schlich lautlos zum Koffer zurück, kniete davor nieder und zog den Schlüssel aus der Hosentasche. Er war ein winziges Silberding, kaum größer als sein halber kleiner Finger, und in Tims Hand war es seltsam warm, so als wäre es lebendig. Das Schlüsselloch des Messingschlosses auf der Vorderseite des Koffers war viel größer. Mit dem Schlüssel lässt es sich unmöglich aufsperren, dachte Tim. Dann erinnerte er sich daran, was der Zöllner zu ihm gesagt hatte: Es ist ein Zauberschlüssel. Er sperrt alles auf, aber nur ein einziges Mal.
Tim steckte den Schlüssel ins Schloss und hörte ihn mit einem Klicken einrasten, als wäre er von Anfang an für diesen Zweck bestimmt gewesen. Mit leichtem Druck ließ sich der Schlüssel mühelos drehen, aber während er das tat, verschwand die Wärme. Tim hatte jetzt nur noch kaltes, unbelebtes Metall zwischen den Fingern.
»Danach ist er wertlos wie Dreck«, flüsterte Tim, als er sich umsah, weil er irgendwie erwartete, dort Big Kells stehen zu sehen: mit finsterer Miene, gespreizten Beinen und zu Fäusten geballten Händen. Aber dort stand niemand, also öffnete er die Schnallen der Lederriemen und hob den Kofferdeckel hoch. Beim Quietschen der Scharniere fuhr er zusammen und sah sich deshalb nochmals um. Sein Herz hämmerte wie wild, und obwohl es an diesem regnerischen Abend recht kühl war, konnte er einen Schweißfilm im Nacken spüren.
Obenauf lagen Hosen und Hemden, alle durcheinander, die meisten schmutzig und zerlumpt. Tim sagte sich (mit bitterem Groll, der gänzlich neu für ihn war): Es ist meine Mama, die sie waschen, flicken und ordentlich zusammenlegen wird, sobald er das von ihr verlangt. Und wird er es ihr mit einem Schlag auf den Arm oder einem Boxhieb an den Hals oder ins Gesicht danken?
Er nahm die Kleidungsstücke heraus und entdeckte darunter das, was den Koffer so schwer machte: Kells’ Vater war ein Tischler gewesen, und das hier war sein Werkzeug. Tim brauchte keinen Erwachsenen, der ihm sagte, dass es wertvoll war – immerhin bestand es aus Metall. Er hätte es verkaufen können, um die Steuer zu bezahlen; er benutzt es sowieso nie. Kann bestimmt nicht mal damit umgehen. Er hätte es an jemand verkaufen können, der es kann – Haggerty, den Zimmerer, zum Beispiel –, und dann die Steuer bezahlen und obendrein einen schönen Batzen Geld übrig behalten können.
Für Leute, die sich so verhielten, gab es ein Wort, das Tim dank dem Unterricht bei Witwe Smack kannte. Es hieß Geizhals .
Er wollte den Werkzeugkasten herausheben, was ihm aber nicht gleich gelang. Der Kasten war zu schwer. Tim nahm die Hämmer und die Schraubenzieher und den Wetzstahl heraus und legte sie auf die Kleidungsstücke. Danach schaffte er es. Unter dem Kasten lagen fünf Axtköpfe, bei deren Anblick sich Big Ross erstaunt und verständnislos mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen hätte. Der kostbare Stahl war mit Rostflecken gesprenkelt, und Tim brauchte die Klingen nicht mit dem Daumen zu prüfen, um zu sehen, wie stumpf sie waren. Nells neuer Ehemann schliff gelegentlich die Axt, mit der er arbeitete, aber mit diesen hatte er sich schon lange nicht mehr abgegeben. Brauchte er sie irgendwann einmal, würden sie wohl unbrauchbar sein.
In einer der Kofferecken steckten ein kleiner Hirschlederbeutel und ein Gegenstand, der in ein Stück feinstes Wildleder gewickelt war. Tim griff danach, wickelte ihn aus und hielt das Porträt einer sanft lächelnden Frau in den Händen. Ihre dunkle Mähne fiel bis auf die Schultern herab. Tim konnte sich nicht an Millicent Kells erinnern – er war erst drei oder vier gewesen, als sie zu der Lichtung gegangen war, auf der wir uns dereinst alle versammeln werden –, aber er wusste, dass sie das sein musste.
Tim wickelte das Bild wieder ein, steckte es zurück
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