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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Parzelle verjagt? Genügte es nicht, dass Axt und Glücksmünze von seinem Da’ verloren gegangen waren? In einem Punkt hatte sie allerdings recht – es war alles ein Schlamassel.
    Aber ich habe einen Schlüssel, dachte Tim, und seine Finger stahlen sich in die Hosentasche, um die Umrisse des Schlüssels zu ertasten.
    »Wohin ist er?«, fragte Nell, und Tim hörte an ihrem Ton, dass sie nicht von Bern Kells sprach.
    Ein bis zwei Räder weit den Eisenholzpfad entlang. Wo er auf mich warten wird.
    »Das weiß ich nicht, Mama.« Soviel er sich erinnern konnte, war dies das erste Mal, dass er sie angelogen hatte.
    »Aber wir wissen, wo Bern hingegangen ist, nicht wahr?« Sie lachte, dann zuckte sie leicht zusammen, wohl weil ihr das Lachen im Gesicht Schmerzen verursachte. »Er hat Milly Redhouse versprochen, nie mehr zu trinken, und er hat’s auch mir versprochen, aber er ist schwach. Oder … liegt es vielleicht an mir? Glaubst du, dass ich ihn dazu getrieben habe?«
    »Nein, Mama.« Er fragte sich allerdings, ob das vielleicht doch der Fall war. Vielleicht nicht auf die Weise, die sie meinte – indem sie zänkisch oder eine schlechte Hausfrau war oder ihm verweigerte, was Männer und Frauen nachts im Bett taten –, sondern auf irgendeine andere Weise. Hier gab es ein Rätsel, und er fragte sich, ob der Schlüssel in seiner Tasche dazu beitragen konnte, es zu lösen. Damit er nicht ständig mit ihm herumspielte, stand er auf und ging zur Speisekammertür. »Was möchtest du essen? Eier? Ich kann dir ein Rührei machen, wenn du willst.«
    Nell lächelte schwach. »Sage dir meinen Dank, Sohn, aber ich bin nicht hungrig. Ich leg mich lieber hin, glaub ich.« Sie stand leicht wankend auf.
    Tim legte ihr eine Hand unter den Arm und führte sie ins Schlafzimmer. Dort starrte er angelegentlich aus dem Fenster, während sie ihr schmutzig gewordenes Hauskleid ablegte und in ihr Nachthemd schlüpfte. Als er sich wieder umdrehte, lag sie unter der Decke. Sie schlug mit einer Hand leicht auf den Platz neben sich, so wie sie es manchmal getan hatte, als Tim noch klein gewesen war. Damals hätte vielleicht sein Da’ im Bett neben ihr gelegen: in seiner langen Holzfällerunterwäsche und eine Selbstgedrehte im Mund.
    »Ich kann ihn nicht an die Luft setzen«, sagte sie. »Ich täte es wohl, wenn ich’s könnte, aber seit die Kordel uns verbindet, gehören Haus und Parzelle mehr ihm als mir. Das Gesetz kann einer Frau gegenüber grausam sein. Darüber hab ich früher nie nachdenken müssen, aber jetzt …« Ihr Blick war leicht glasig und verschwommen. Sie würde bald schlafen, und das war bestimmt nur gut.
    Tim küsste sie auf die nicht geschwollene Wange und wollte aufstehen, aber Nell hielt ihn zurück. »Was hat der Zöllner zu dir gesagt?«
    »Er wollte wissen, wie mir mein neuer Stiefvater gefällt. Was ich geantwortet habe, weiß ich nicht mehr genau. Ich hatte Angst.«
    »Die hatte ich auch, als er dich mit seinem Mantel zugedeckt hat. Ich dachte, er wollte mit dir weggaloppieren wie der Rote König im Märchen.« Sie schloss die Augen. Tim glaubte schon, sie wäre eingeschlafen, aber dann öffnete Nell die Augen ganz langsam wieder. »Ich weiß noch, wie er zu meinem Da’ gekommen ist, als ich kaum aus den Windeln war: das schwarze Pferd, die schwarzen Handschuhe und sein Reitmantel, der Sattel mit den silbernen Siguls. Sein bleiches Gesicht hat mir Albträume gemacht – es ist so lang . Und weißt du was, Tim?«
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    »Er hat sogar immer noch dasselbe silberne Becken hinter sich festgeschnallt. Das habe ich damals so gesehen wie heute. Es ist nun zwanzig Jahre her – aye, und ein Pärchen oder zwei obendrauf –, aber er sieht ganz unverändert aus. Er ist keinen Tag gealtert. «
    Wieder fielen ihr die Augen zu. Dieses Mal öffnete sie sie nicht wieder, und Tim stahl sich hinaus.

Sobald Tim sich sicher war,  
    dass seine Mutter schlief, ging er nach hinten in die kleine, rückwärtige Diele, in der Big Kells’ Koffer vor dem Raum für schmutziges Schuhwerk und Arbeitskleidung stand: ein rechteckiger Klotz unter einer alten Decke. Als er dem Zöllner erklärt hatte, er wisse nur von zwei Schlössern in Tree, hatte dieser geantwortet: Oh, ich glaube, dass du noch eines kennst.
    Tim zog die Wolldecke herunter und hatte nun den großen Lederkoffer seines Stiefvaters vor sich. Den Koffer, den er manchmal wie ein Schoßtier tätschelte und auf dem er abends oft saß und seine Pfeife

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