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Der dunkle Wächter

Der dunkle Wächter

Titel: Der dunkle Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Bewegungen tölpelhaft. Kurzum, sein Leben sei ein einziger Fluch. Sein Bruder Joseph hingegen wäre ein bewundernswerter, fleißiger, liebevoller Junge geworden… alles, was er niemals sein werde.
    Der kleine Jean begriff bald, dass er es war, der vor acht Jahren in jenem dunklen Krankenhauszimmer hätte sterben sollen. Er nahm den Platz eines anderen ein… Sämtliche Spielsachen, die Anne über Jahre für ihr zukünftiges Kind beiseitegelegt hatte, landeten in der Woche, nachdem sie aus dem Krankenhaus kam, im Herdfeuer. Jean hat niemals Spielzeug besessen. Es war ihm verboten. Er hatte keines verdient.
    Eines Nachts, als der Junge schreiend aus dem Schlaf hochfuhr, kam seine Mutter zu ihm ans Bett und fragte ihn, was los sei. Verängstigt erzählte Jean, er habe geträumt, ein Schatten, ein böser Geist verfolge ihn durch einen endlosen Tunnel. Annes Antwort war unmissverständlich. Dieser Traum sei ein Zeichen. Der Schatten, von dem er geträumt habe, sei der Geist seines toten Bruders, der nach Rache schreie. Er müsse sich ein weiteres Mal bemühen, ein besserer Sohn zu sein, seiner Mutter in allem zu gehorchen, keines ihrer Worte und keine ihrer Taten in Frage zu stellen. Sonst werde der Schatten zum Leben erwachen und kommen, um ihn in die Hölle zu schleppen. Mit diesen Worten packte Anne ihren Sohn und brachte ihn in den Keller des Hauses, wo sie ihn zwölf Stunden im Dunkeln allein ließ, damit er über das nachdenken konnte, was sie ihm gesagt hatte. Das war das erste Mal, dass er eingesperrt wurde.
    Als der kleine Jean mir das alles eines Nachmittags, ein Jahr später, erzählte, war ich entsetzt. Ich wollte dem Jungen helfen, ihn trösten und irgendwie das Elend ausgleichen, in dem er lebte. Das Einzige, was mir einfiel, war, die Münzen zusammenzukratzen, die ich über Monate in meiner Sparbüchse verwahrt hatte, und in Monsieur Giradots Spielwarengeschäft zu gehen. Meine Ersparnisse reichten nicht weit, und ich bekam nur eine alte Marionette, einen Engel aus Pappmaché, den man mit Schnüren bewegen konnte. Ich wickelte ihn in Glanzpapier und wartete am nächsten Tag, bis Anne Neville zum Einkaufen gegangen war. Dann klopfte ich an der Wohnungstür und sagte, dass ich es sei, Lazarus. Jean öffnete, und ich gab ihm das Päckchen. Es sei ein Geschenk, sagte ich, und ging.
    Drei Wochen sah ich ihn nicht. Ich ging davon aus, dass Jean sich an meinem Geschenk erfreute, wenn ich schon nichts mehr von meinen Ersparnissen hatte. Später erfuhr ich, dass der Engel aus Stoffresten und Pappmaché nur einen Tag überlebte. Anne fand ihn und verbrannte ihn. Auf ihre Frage, woher er ihn habe, antwortete Jean, der mich nicht in die Sache hineinziehen wollte, er habe ihn selbst gebastelt.
    Und eines Tages fiel die Strafe noch viel grausamer aus. Anne zerrte ihren Sohn völlig außer sich in den Keller, sperrte ihn ein und drohte ihm, diesmal werde ihn der Schatten im Dunkeln holen kommen und für immer mitnehmen.
    Jean Neville verbrachte eine ganze Woche dort unten. Seine Mutter war derweil in einen Streit auf dem Markt in Les Halles verwickelt und wurde zusammen mit mehreren anderen von der Polizei in eine Gemeinschaftszelle gesperrt. Nach ihrer Entlassung irrte sie tagelang durch die Straßen.
    Bei ihrer Rückkehr fand sie die Wohnung verlassen und die Kellertür verriegelt vor. Nachbarn halfen ihr, sie aufzubrechen. Der Keller war leer. Von Jean keine Spur.«
    Lazarus machte eine Pause. Simone wartete schweigend darauf, dass er den Ausgang der Geschichte erzählte.
    »Jean wurde nie wieder im Viertel gesehen. Die meisten, die die Geschichte kannten, gingen davon aus, dass der Junge durch ein Kellerloch geflohen war, so weit weg von seiner Mutter wie möglich. Ich vermute, genauso war es auch. Wenn Sie allerdings seine Mutter gefragt hätten, die den Verlust des Jungen wochen- und monatelang untröstlich beweinte, dann hätte sie mit Sicherheit behauptet, der Schatten habe ihn mitgenommen… Ich sagte Ihnen vorhin, ich sei wahrscheinlich der einzige Freund von Jean Neville gewesen. Ehrlich gesagt war es wohl eher umgekehrt. Er war mein einziger Freund. Jahre später schwor ich mir, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit nie wieder ein Kind ohne Spielzeug sein müsse. Kein Kind sollte noch einmal den Alptraum durchleben, der die Kindheit meines Freundes Jean überschattet hatte. Noch heute frage ich mich, wo er wohl sein mag, falls er noch lebt. Vermutlich finden Sie meine Erklärung ein wenig

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