0243 - Asyl der Gespenster
»Nein… ich will nicht… ich will nicht mit dir kämpfen, Zamorra!« wimmerte es von irgendwoher.
»Zeige dich!« klirrte die Stimme des Mannes hart, den man als den Meister des Übersinnlichen bezeichnete. »Ich befehle es. Erscheine! Du weißt, daß ich Macht habe, dich zu bezwingen. Erscheine… jetzt!«
Im gleichen Moment wurde eine Erscheinung sichtbar.
Ein Gespenst…
***
Es war wie weißer Nebel. Nur mit Mühe erkannte Professor Zamorra die Konturen eines weiblichen Wesens.
»Die weiße Lady! Das ist sie also!« stieß der Parapsychologe hervor. Andrew Marshmully, dem die Aufsicht über diesen Teil von Windsor Castle oblag, kroch fast in sich zusammen.
Da war er also leibhaftig - der Spuk, der vor einigen Wochen so unvermittelt auf Schloß Windsor aufgetaucht war. Mochte der Teufel wissen, woher die weiße Lady gekommen war. Sie war nirgends in den Archiven erwähnt.
Jede Nacht, die Gott werden ließ, wandelte sie durch die Räume und Höfe des Schlosses. Und die alten Hausmittelchen zur Gespenstervertreibung, die jeder richtige Engländer kennt, halfen nichts.
Pünktlich zur Mitternacht erschien das Gespenst erneut und wandelte langsam als weißer Schemen durch die Gänge in den Hof, drehte eine Ehrenrunde um den großen Normannenturm in der Mitte der mächtigen Burganlage und verschwand Schlag Eins.
Gottseidank verhielt sich der Spuk am Tage ruhig, wenn Touristen aus aller Welt wie Heuschreckenschwärme über Windsor-Castle herfielen um zu sehen, wie ihre Britische Majestät zwei Monate im Jahr zu wohnen geruhen.
Der Gedanke an die Königin hatte Andrew Marshmully erst aktiv gemacht. Denn eigentlich störte ihn an dem Gespenst nur das klagende Heulen. Sonst war die Erscheinung gegen Menschen und Tiere friedlich.
Aber die Königin und ihr Anhang hatten bestimmt kein Verständnis für das Gespenst. Darum mußte es verschwinden. Und das so schnell wie möglich. Marshmully hatte bereits die erste Schwalbe gesehen. Das bedeutete, daß der Frühling und damit die Queen mit tödlicher Sicherheit kam.
Aber wie vertreibt man ein Gespenst, das sich einmal eingenistet hat, wenn die Hausmittelchen versagen?
Andrew Marshmully wandte sich vertrauensvoll an die Polizei.
Schließlich hatte er bei Scotland Yard den Fachmann gefunden.
Aber der Teufel schien persönlich die Hand im Spiele zu haben. Der Fachmann hatte keine Zeit. Dringende Fälle hielten ihn davon ab, Schloß Windsor für Ihre Majestät gespensterfrei zu machen.
Dennnoch konnte dieser Oberinspektor, der seinen Namen mit John Sinclair angegeben hatte, Andrew Marshmully helfen.
Er gab ihm eine Telefonnummer. Die Geheimnummer eines der schönsten Schlösser im Tal der Loire in Frankreich. Und Professor Zamorra, der Herr dieses Schlosses, war gerade im Begriff, nach England zu reisen.
Den Fall wollte er so im Vorbeigehen behandeln.
So kam Profesxor Zamorra nach Windsor-Castle.
Eigentlich war das kein Fall für ihn. Denn er war ein Dämonenjäger, vor dem die obersten Geister der Hölle erbebten. Der Kampf gegen die Dämonen und ihre Vernichtung waren die Aufgaben, die ihm das Schicksal stellte.
Poltergeister, Schloßgespenster, wandelnde Ahnherren und ähnlichen Spuk überließ er meist den kleinen, lokalpatriotischen Gespensterjägern, die sich etwas in einschlägiger Literatur vorgebildet hatten. Denn im allgemeinen waren im Vergleich zu den Höllendämonen die Gespensterwesen harmlos. Und es bedeutete nicht allzu viele Mühe, sie von einem Ort zu vertreiben und zu bannen.
Es war eine Besichtigung von Windsor-Castle, wie sie der normale Tourist nicht zu sehen bekommt, was Professor Zamorra an dieser Angelegenheit reizte. Da er ohnehin auf der Durchreise nach Dorset war, konnte es nicht schaden, hier eine Nacht Station zu machen. So wurde auch das sündhaft teure Hotel gespart.
»Seit drei Wochen geht sie hier um!« flüsterte Andrew Marshmully dem Meister des Übersinnlichen zu. Aber Zamorra winkte ihm, zu schweigen.
»Wer bist du?« richtete er seine erste Frage an das Gespenst.
»Viviane!« klagte es. »Lady Viviane! Ich war verflucht, in Caimgorm-Castle zu spuken. Denn mein Mann war einer der Thans, die in den Tagen meines Lebens Maria Stuart den Eid brachen. Ich rächte meine Königin und meuchelte ihn mit dem Dolch. Aber sterbend verfluchte er mich. Bis zum Jüngsten Tage sollte ich in der Mitternachtsstunde wandeln und so die Blutschuld büßen!«
»Sagen Sie ihr, daß sie wieder nach Schottland zurückgehen soll!« drängte
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