Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Erscheinungen, sondern schaut das Wesen an, und hat in dem Wesen die – Wahrheit.
Die Wesen, welche aus den einen Erscheinungen sich ergeben, sind die bösen Wesen, und umgekehrt aus andern die guten. Das Wesen des menschlichen Gemütes z. B. ist die Liebe, das Wesen des menschlichen Willens ist das Gute, das seines Denkens das Wahre usw.
Was zuerst für Existenz galt, wie Welt u. dergl., das erscheint jetzt als bloßer Schein, und das wahrhaft Existierende ist vielmehr das Wesen, dessen Reich sich füllt mit Göttern, Geistern, Dämonen, d. h. mit guten oder bösen Wesen. Nur diese verkehrte Welt, die Welt der Wesen, existiert jetzt wahrhaft. Das menschliche Herz kann lieblos sein, aber sein Wesen existiert, der Gott, »der die Liebe ist«; das menschliche Denken kann im Irrtum wandeln, aber sein Wesen, die Wahrheit existiert: »Gott ist die Wahrheit« usw.
Die Wesen allein und nichts als die Wesen zu erkennen und anzuerkennen, das ist Religion: ihr Reich ein Reich der Wesen, des Spukes und der Gespenster.
Der Drang, den Spuk faßbar zu machen, oder den Nonsens zu realisieren, hat ein leibhaftiges Gespenst zu Wege gebracht, ein Gespenst oder einen Geist mit einem wirklichen Leibe, ein beleibtes Gespenst. Wie haben sich die kräftigsten genialsten Christenmenschen abgemartert, um diese gespenstische Erscheinung zu begreifen. Es blieb aber stets der Widerspruch zweier Naturen, der göttlichen und menschlichen, d. h. der gespenstischen und sinnlichen: es blieb der wundersamste Spuk, ein Unding. Seelenmarternder war noch nie ein Gespenst, und kein Schamane, der bis zu rasender Wut und nervenzerreißenden Krämpfen sich stachelt, um ein Gespenst zu bannen, kann solche Seelenqual erdulden, wie Christen sie von jenem unbegreiflichsten Gespenst erlitten.
Allein durch Christus war zugleich die Wahrheit der Sache zu Tage gekommen, daß der eigentliche Geist oder das eigentliche Gespenst – der Mensch sei. Der leibhaftige oder beleibte Geist ist eben der Mensch: er selbst das grauenhafte Wesen und zugleich des Wesens Erscheinung und Existenz oder Dasein. Fortan graut dem Menschen nicht eigentlich mehr vor Gespenstern außer ihm, sondern vor ihm selber: er erschrickt vor sich selbst. In der Tiefe seiner Brust wohnt der Geist der Sünde , schon der leiseste Gedanke (und dieser ist ja selber ein Geist) kann ein Teufel sein usw. – Das Gespenst hat einen Leib angezogen, der Gott ist Mensch geworden, aber der Mensch ist nun selbst der grausige Spuk, hinter den er zu kommen, den er zu bannen, zu ergründen, zur Wirklichkeit und zum Reden zu bringen sucht: der Mensch ist – Geist . Mag auch der Leib verdorren, wenn nur der Geist gerettet wird: auf den Geist kommt Alles an, und das Geistes- oder »Seelenheil« wird alleiniges Augenmerk. Der Mensch ist sich selbst ein Gespenst, ein unheimlicher Spuk geworden, dem sogar ein bestimmter Sitz im Leibe angewiesen wird (Streit über den Sitz der Seele, ob im Kopfe usw.).
Du bist Mir und Ich bin Dir kein höheres Wesen. Gleichwohl kann in jedem von Uns ein höheres Wesen stecken, und die gegenseitige Verehrung desselben hervorrufen. Um gleich das Allgemeinste zu nehmen, so lebt in Dir und Mir der Mensch. Sähe Ich in Dir nicht den Menschen, was hätte Ich Dich zu achten? Du bist freilich nicht der Mensch und seine wahre und adäquate Gestalt, sondern nur eine sterbliche Hülle desselben, aus welcher er ausscheiden kann, ohne selbst aufzuhören; aber für jetzt haust dieses allgemeine und höhere Wesen doch in Dir und Du vergegenwärtigst Mir, weil ein unvergänglicher Geist in Dir einen vergänglichen Leib angenommen hat, mithin Deine Gestalt wirklich nur eine »angenommene« ist, einen Geist, der erscheint, in Dir erscheint, ohne an Deinen Leib und diese bestimmte Erscheinungsweise gebunden zu sein, also einen Spuk. Darum betrachte Ich nicht Dich als ein höheres Wesen, sondern respektiere allein jenes höhere Wesen, das in Dir »umgeht«: Ich »respektiere in Dir den Menschen«. So etwas beachteten die Alten nicht in ihren Sklaven, und das höhere Wesen: »der Mensch« fand noch wenig Anklang. Dagegen sahen sie ineinander Gespenster anderer Art. Das Volk ist ein höheres Wesen als ein Einzelner, und gleich dem Menschen oder Menschengeiste ein in den Einzelnen spukender Geist: der Volksgeist. Deshalb verehrten sie diesen Geist, und nur so weit er diesem oder auch einem ihm verwandten Geiste, z. B. dem Familiengeiste usw. diente, konnte der Einzelne bedeutend erscheinen; nur um des
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