Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
ziehen, Schriftsteller ganze Folianten über den Staat anfüllen, ohne die fixe Idee des Staates selbst in Frage zu stellen, unsere Zeitungen von Politik strotzen, weil sie in dem Wahne gebannt sind, der Mensch sei dazu geschaffen, ein Zoon politikon zu werden, so vegetieren auch Untertanen im Untertanentum, tugendhafte Menschen in der Tugend, Liberale im »Menschentum« usw., ohne jemals an diese ihre fixen Ideen das schneidende Messer der Kritik zu legen. Unverrückbar, wie der Irrwahn eines Tollen, stehen jene Gedanken auf festem Fuße, und wer sie bezweifelt, der – greift das Heilige an! Ja, die »fixe Idee«, das ist das wahrhaft Heilige!
Begegnen Uns etwa bloß vom Teufel Besessene, oder treffen Wir ebensooft auf entgegengesetzte Besessene , die vom Guten, von der Tugend, Sittlichkeit, dem Gesetze oder irgend welchem »Prinzipe« besessen sind? Die Teufels- besitzungen sind nicht die einzigen. Gott wirkt auf Uns und der Teufel wirkt: jenes »Gnadenwirkungen«, dieses »Teufelswirkungen«. Besessene sind auf ihre Meinungen versessen .
Mißfällt Euch das Wort »Besessenheit«, so nennt es Eingenommenheit, ja nennt es, weil der Geist Euch besitzt, und von ihm alle »Eingebungen« kommen, – Begeisterung und Enthusiasmus. Ich setze hinzu, daß der vollkommene Enthusiasmus – denn bei dem faulen und halben kann man nicht stehen bleiben – Fanatismus heißt.
Der Fanatismus ist gerade bei den Gebildeten zu Hause; denn gebildet ist der Mensch, soweit er sich für Geistiges interessiert, und Interesse für Geistiges ist eben, wenn es lebendig ist, Fanatismus und muß es sein; es ist ein fanatisches Interesse für das Heilige (fanum). Man beobachte unsere Liberalen, man blicke in die Sächsischen Vaterlandsblätter, man höre, was Schlosser sagt: »Die Gesellschaft Holbachs bildete ein förmliches Komplott gegen die überlieferte Lehre und das bestehende System, und die Mitglieder derselben waren eben so fanatisch für ihren Unglauben, als Mönche und Pfaffen, Jesuiten und Pietisten, Methodisten, Missions- und Bibelgesellschaften für mechanischen Gottesdienst und Wortglauben zu sein pflegen.«
Man achte darauf, wie ein »Sittlicher« sich benimmt, der heutigen Tages häufig mit Gott fertig zu sein meint, und das Christentum als eine Verlebtheit abwirft. Wenn man ihn fragt, ob er je daran gezweifelt habe, daß die Vermischung der Geschwister eine Blutschande sei, daß die Monogamie die Wahrheit der Ehe sei, daß die Pietät eine heilige Pflicht sei usw., so wird ein sittlicher Schauder ihn bei der Vorstellung überfallen, daß man seine Schwester auch als Weib berühren dürfe usw. Und woher dieser Schauder? Weil er an jene sittlichen Gebote glaubt . Dieser sittliche Glaube wurzelt tief in seiner Brust. So viel er gegen die frommen Christen eifert, so sehr ist er dennoch selbst Christ geblieben, nämlich ein sittlicher Christ. In der Form der Sittlichkeit hält ihn das Christentum gefangen, und zwar gefangen unter dem Glauben . Die Monogamie soll etwas Heiliges sein, und wer etwa in Doppelehe lebt, der wird als Verbrecher gestraft; wer Blutschande treibt, leidet als Verbrecher . Hiermit zeigen sich diejenigen einverstanden, die immer schreien, auf die Religion solle im Staate nicht gesehen werden, und der Jude Staatsbürger gleich dem Christen sein. Ist jene Blutschande und Monogamie nicht ein Glaubenssatz ? Man rühre ihn an, und man wird erfahren, wie dieser Sittliche eben auch ein Glaubensheld ist, trotz einem Krummacher, trotz einem Philipp II. Diese fechten für den Kirchenglauben, er für den Staatsglauben, oder die sittlichen Gesetze des Staates; für Glaubensartikel verdammen beide denjenigen, der anders handelt, als ihr Glaube es gestatten will. Das Brandmal des »Verbrechens« wird ihm aufgedrückt, und schmachten mag er in Sittenverbesserungshäusern, in Kerkern. Der sittliche Glaube ist so fanatisch als der religiöse! Das heißt dann »Glaubensfreiheit«, wenn Geschwister um eines Verhältnisses willen, das sie vor ihrem »Gewissen« auszumachen hätten, ins Gefängnis geworfen werden. »Aber sie gaben ein verderbliches Beispiel!« Ja freilich, es könnten Andere auch darauf verfallen, daß der Staat sich nicht in ihr Verhältnis zu mischen habe, und darüber ginge die »Sittenreinheit« zu Grunde. So eifern denn die religiösen Glaubenshelden für den »heiligen Gott«, die sittlichen für das »heilige Gute«.
Die Eiferer für etwas Heiliges sehen einander oft gar wenig ähnlich. Wie differieren
Weitere Kostenlose Bücher