Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Staate, er ist seine Herzenssache, seine Hauptsache, seine eigene Sache.
Politische Freiheit sagt dies, daß die Polis, der Staat, frei ist, Religionsfreiheit dies, daß die Religion frei ist, wie Gewissensfreiheit dies bedeutet, daß das Gewissen frei ist; also nicht, daß Ich vom Staate, von der Religion, vom Gewissen frei, oder daß Ich sie los bin. Sie bedeutet nicht Meine Freiheit, sondern die Freiheit einer Mich beherrschenden und bezwingenden Macht; sie bedeutet, daß einer Meiner Zwingherrn , wie Staat, Religion, Gewissen frei sind. Staat, Religion, Gewissen, diese Zwingherrn, machen Mich zum Sklaven, und ihre Freiheit ist Meine Sklaverei. Daß sie dabei notwendig dem Grundsatze »der Zweck heiligt die Mittel« folgen, versteht sich von selbst. Ist das Staatswohl Zweck, so ist der Krieg ein geheiligtes Mittel; ist die Gerechtigkeit Staatszweck, so ist der Totschlag ein geheiligtes Mittel und heißt mit seinem heiligen Namen: »Hinrichtung« usw. der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt.
Die »individuelle Freiheit«, über welche der bürgerliche Liberalismus eifersüchtig wacht, bedeutet keineswegs eine vollkommen freie Selbstbestimmung, wodurch die Handlungen ganz die Meinigen werden, sondern nur Unabhängigkeit von Personen . Individuell frei ist, wer keinem Menschen verantwortlich ist. In diesem Sinne gefaßt – und man darf sie nicht anders verstehen – ist nicht bloß der Herrscher individuell frei d. i. unverantwortlich gegen Menschen (»vor Gott« bekennt er sich ja verantwortlich), sondern Alle, welche »nur dem Gesetze verantwortlich sind«. Diese Art der Freiheit wurde durch die revolutionäre Bewegung des Jahrhunderts errungen, die Unabhängigkeit nämlich vom Belieben, vom tel est notre plaisir. Daher mußte der konstitutionelle Fürst selbst aller Persönlichkeit entkleidet, alles individuellen Beschließens beraubt werden, um nicht als Person, als individueller Mensch , die »individuelle Freiheit« Anderer zu verletzen. Der persönliche Herrscherwille ist im konstitutionellen Fürsten verschwunden; mit richtigem Gefühl wehren sich daher die absoluten dagegen. Gleichwohl wollen gerade diese im besten Sinne »christliche Fürsten« sein. Dazu müßten sie aber eine rein geistige Macht werden, da der Christ nur dem Geiste untertan ist (»Gott ist Geist«). Konsequent stellt die rein geistige Macht nur der konstitutionelle Fürst dar, er, der ohne alle persönliche Bedeutung in dem Grade vergeistigt dasteht, daß er für einen vollkommenen unheimlichen »Geist« gelten kann, für eine Idee . Der konstitutionelle König ist der wahrhaft christliche König, die echte Konsequenz des christlichen Prinzips. In der konstitutionellen Monarchie hat die individuelle Herrschaft, d. h. ein wirklich wollender Herrscher, sein Ende gefunden; darum waltet hier die individuelle Freiheit , Unabhängigkeit von jedem individuellen Gebieter, von Jedem, der Mir mit einem tel est notre plaisir gebieten könnte. Sie ist das vollendete christliche Staatsleben, ein vergeistigtes Leben.
Das Bürgertum benimmt sich durch und durch liberal . Jeder persönliche Eingriff in die Sphäre des Andern empört den bürgerlichen Sinn: sieht der Bürger, daß man von der Laune, dem Belieben, dem Willen eines Menschen als Einzelnen (d. h. als nicht durch eine »höhere Macht« Autorisierten) abhängig ist, gleich kehrt er seinen Liberalismus heraus und schreit über »Willkür«. Genug, der Bürger behauptet seine Freiheit von dem, was man Befehl (ordonnance) nennt: »Mir hat niemand etwas zu – befehlen!« Befehl hat den Sinn, daß das, was Ich soll, der Wille eines andern Menschen ist, wogegen Gesetz nicht eine persönliche Gewalt des Andern ausdrückt. Die Freiheit des Bürgertums ist die Freiheit oder Unabhängigkeit vom Willen einer andern Person, die sogenannte persönliche oder individuelle Freiheit; denn persönlich frei sein heißt nur so frei sein, daß keine andere Person über die Meinige verfügen kann, oder daß was Ich darf oder nicht darf, nicht von der persönlichen Bestimmung eines Andern abhängt. Die Preßfreiheit unter andern ist eine solche Freiheit des Liberalismus, der nur den Zwang der Zensur als den der persönlichen Willkür bekämpft, sonst aber jene durch »Preßgesetze« zu tyrannisieren äußerst geneigt und willig sich zeigt, d. h. die bürgerlichen Liberalen wollen Schreibefreiheit für sich ; denn da sie gesetzlich sind, werden sie durch ihre Schriften nicht dem Gesetze verfallen. Nur
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