Der Engel Der Kurie
unterbrachen die gemauerten Klosterbezirke das Stadtbild, und hinter den Mauern verbargen sich weite Gärten. Zum Quirinal hinauf brach die Bebauung ebenso unvermittelt ab wie zum Aventin hin und ließ den Weinbergen der Reichen Raum, so daß dem Wanderer selbst innerhalb der Mauer oftmals der Eindruck entstand, er bewege sich nicht in einer Stadt, sondern zwischen mehreren Städten. Der Verfall trat an einigen Stellen so deutlich zutage, daß man nicht glauben mochte, sich wirklich im Zentrum der Christenheit zu befinden. Andererseits wurde nicht erst seit Papst Julius an vielen Stellen der Stadt gebaut, um dem Zustrom von Menschen aus aller Herren Länder gerecht zu werden. An anderen Stellen suchten Künstler und Gelehrte nach Kleinodien der Antike, und was dabei alles ans Licht kam, ließ selbst so große Männer wie Raffael staunen, und die ganze Welt rühmte immer noch den Fund der Laokoon-Gruppe vor zwanzig Jahren.
Bei diesem Gedanken lächelte Jakob, denn die vielen Literaten an der Sapienza kamen ihm in den Sinn, die in Anlehnung an die Antike lateinische Verse schmiedeten und sich von der Romantik der Ruinen inspirieren ließen, dabei aber selten jene geistige Tiefe erreichten, für die ihre Vorbilder Cicero, Catull, Livius oder Ovid berühmt waren. Nein, diese gekünstelte Art war seine Sache nicht; Jakob zog die Lebendigkeit der einfachen Menschen in Rom der akademischen Schaumschlägerei vor. Deshalb liebte er den Platz des Volkes so, deshalb zog es ihn immer wieder zum Campo de Fiori. Wild kreischten und schnatterten hier die Stimmen der Marktweiber, und Jakob lauschte mit Vorliebe ihrer derben und doch melodischen Sprache. Die lingua volgare der einfachen Leute rührte die Gefühle an; außerdem sprach es sich herrlich derb und deftig und gab dem Dasein seine Lebendigkeit zurück, die in der starren Formenwelt des gebildeten Latein verlorenzugehen schien. Der Campo de Fiori war ein Platz zum Lauschen und Schauen. Mägde, Diener und Köchinnen schoben sich von Marktstand zu Marktstand, prüften wortreich Obst und Gemüse, und die Geschäftigkeit lag so dick in der Luft wie Weihrauchschwaden in der Ostermesse.
Jakob genoß diese Stimmung und konnte sich kaum satt sehen an dem bunten Treiben; er setzte sich vor Giuseppes Schenke auf einen Schemel und bat um einen Schoppen Rotwein.
»Tedesco«, grüßte der Wirt fröhlich, »was führt dich heute auf den Markt?«
»Die Neugier, Giuseppe«, antwortete Jakob und versuchte ein Lachen. »Was reden die Leute? Gibt es Neuigkeiten? Komm, vertreib mir die Zeit mit deinen Geschichten.«
»Ach, die Weiber streiten sich wie gewöhnlich, eine jede will die andere übertreffen; und sie sorgen sich wegen der toten Huren. Ich geb' nichts drauf, aber viele sagen, da zieht ein geiler Nero durch die Straßen und mordet, sobald ihm eine unter die Finger kommt. Wenn du mich fragst, haben die Toten gar nichts miteinander zu tun. Weiß doch ein jeder, daß es die Teufelshuren manchmal allzu toll treiben; wer sich betrogen fühlt, der schlägt zurück, und mancher ist nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel.«
»Waren es ordinäre Frauen, die getötet wurden?«
»Man sagt, es sollen herausgeputzte Engel gewesen sein.«
»Also keine Frauen von hier oder vom Pozzo bianco?«
»Zumindest nicht von der Straße oder aus unseren einfachen Häusern. Was soll's! Soll ich Weibern nachtrauern, die keine Nacht unter fünf Scudi vergeben? Dafür arbeite ich einen vollen Monat. Wer so teuer ist, der muß auch seinen Preis zahlen. Da schau«, Giuseppe deutete auf ein dralles Marktweib, »die Lavinia ist für einen Krug Roten oder zehn Quattrini willig, und sie reitet dich so geschickt wie ein Araber seinen Hengst. – Prosit, Tedesco.« Der Wirt schlug Jakob auf die Schulter und verschwand dann im Halbdunkel seiner Kaschemme.
Jakob sann Giuseppes Worten über die Preise von Kurtisanen nach; fünf Scudi waren tatsächlich eine stolze Summe, wenn man bedachte, daß zehn Giuli einen normalen Scudo machten und ein Goldscudo gar zwölf Giuli wert war; hier am Markt wurde nicht einmal in Giuli, sondern wirklich in Quattrini gerechnet, derer vierzig auf einen Giulo kamen. Der Dominikaner nahm einen kräftigen Schluck Wein und sah dem Treiben auf dem Markt zu. Nein, man durfte nicht mit allem hadern; die Welt hatte ihre Ordnung gerade so, wie es sich ziemte; da gehörten die Marktweiber ebenso dazu wie die Bettler, Gaukler und Huren. Aber was war mit jenem Mörder? Zwar hatte Satan seine
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