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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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an Merlins Korb heran, ging in die Hocke und streckte die Hand aus.
    Aber Merlin reagierte ganz anders als gewohnt statt den Kopf zu senken und meine Hand mit der Nase anzustubsen, um sich ein paar zusätzliche Streicheleinheiten zu ergaunern, prallte er zurück und fauchte mich an. Dann erstarrte er, blickte mich eindeutig verwirrt an und begann zu schnurren. Ich hätte schwören können, daß er mich im allerersten Moment einfach nicht erkannt hatte.
    Ich kraulte Merlin ein paarmal hinter dem Ohr, richtete mich wieder auf und streifte meinen Morgenmantel über, wobei ich sein enttäuschtes Maunzen geflissentlich überhörte. Die Bewegung und die profane Tätigkeit des Anziehens dämpften die Furcht ein wenig, die von mir Besitz ergriffen hatte, aber sie vertrieben sie längst nicht völlig, und als ich zur Tür ging, ertappte ich mich dabei, mich ein paarmal fast ängstlich im Zimmer umzusehen, ehe ich die Hand nach dem Knauf ausstreckte.
    Merlin stieß ein schrilles Miauen aus und flitzte zwischen meinen Beinen hindurch aus dem Zimmer, wobei er seine fünfundzwanzig Pfund Katergewicht rücksichtslos dazu einsetzte, mich kurzerhand aus dem Weg zu fegen. Aber bevor er durch die Tür verschwand und ich gegen den Rahmen fiel, an dem ich im letzten Moment Halt fand, sah ich, daß er die Ohren eng an den Schädel gelegt und den Schwanz zwischen die Hinterläufe geklemmt hatte auch für jemanden, der nicht unbedingt ein großer Katzenkenner ist, untrügliche Anzeichen von Angst. Ich fragte mich nur, wovor ein Kater von der Größe eines kleinen Dinosauriers Angst haben mochte …
    Aber im Grund hatte ich gar keine besondere Lust, es herauszufinden. Beinahe hastig trat ich auf den Flur hinaus und tastete nach dem Lichtschalter. Wieder verging eine endlose Sekunde, in der mir meine überreizte Fantasie alle möglichen Schreckensbilder vorzugaukeln versuchte, ehe über meinem Kopf die Neonleuchten zu flackerndem Leben erwachten und mit ihrem kalten Licht die Gespenster der Nacht vertrieben.
    Ich atmete erleichtert auf, als ich feststellte, daß rings um mich alles von gewohnter, beruhigender Normalität war.
    Vielleicht war es doch nur der Alptraum gewesen.
    Die ersten zwei oder drei Male, als ich ihn geträumt hatte, hatte ich ihn einfach interessant gefunden und ein bißchen verwirrend, aber je öfter er sich wiederholte, desto mehr erschreckte er mich. Er war immer gleich, wie ein endloses Videoband, und er endete immer in der Sekunde, in der ich das Gesicht des Messerstechers sah. Der Mann, der dort verfolgt wurde, das war nicht ich, wie es normalerweise in Träumen der Fall ist, sondern ein Fremder, und doch hatte ich irgend etwas mit ihm zu tun, gab es eine Verbindung zwischen ihm und mir, die sehr wichtig war, ohne daß ich zu sagen vermocht hätte, welche. Und das war nicht alles. Das London, durch das er lief, war mir fremd. Oh, es war London, sicher, die Stadt, in der ich aufgewachsen war, und gleichzeitig vollkommen anders, eine Stadt, in der es Gaslaternen und Mietdroschken gab, dafür aber kaum elektrisches Licht und nur eine Handvoll Telefonan-schlüsse. Wenn ich richtig rechnete, dann war es heute bereits das zwölfte Mal gewesen, daß ich diesen Traum geträumt hatte. Ich nahm mir fest vor, zu einem Arzt zu gehen, wenn er sich noch einmal wiederholte. Auch wenn ich etwas gegen Gehirnklempner hatte besser, ich ging freiwillig zu einem, ehe ich hingebracht wurde.
    Ich überlegte einen Moment, ob ich in mein Zimmer zurück und wieder ins Bett gehen sollte, drehte mich dann aber vollends um und schlug die entgegengesetzte Richtung ein.
    Mary, unsere Haushälterin, wußte genau, wie sehr ich ihren Kaffee vergötterte, und pflegte stets eine Thermoskanne dieses höllisch starken, teerschwarzen Gebräus für mich in der Küche bereitzustellen, ehe sie das Haus verließ. Und ich hatte das sichere Gefühl, daß an Schlaf in dieser Nacht ohnehin nicht mehr zu denken war.
    Als ich die Treppe hinunterging, sah ich das Leuchten. Die Tür zum Arbeitszimmer meines Großvaters war nur angelehnt, und durch den Spalt fiel ein schmaler, flackernder Streifen grünlichen Lichts …
    Mein Kopf schien noch immer nicht mit gewohnter Klarheit zu arbeiten, denn es dauerte wiederum ein paar Sekunden, bis ich begriff, daß das Licht tatsächlich grün war, von einem Grün, wie ich es nie zuvor gesehen hatte: ein bleicher, irgendwie kränklich wirkender Schein. Verwirrt blieb ich abermals stehen, dann ging ich schnell weiter, streckte

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