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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ledergepolsterten Sessel dahinter fallen.
    »Ich weiß es nicht«, murmelte er. Ich spürte, daß er log. Er sah mich nicht an, und seine Stimme klang jetzt wieder so fest und ruhig wie immer, aber ich hatte es stets gespürt, wenn mich jemand anlog. In dieser Beziehung hatte ich wohl so etwas wie einen sechsten Sinn. Irgendwann im Alter zwischen acht und neun Jahren hatte ich aufgehört, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum das so war. Ich nahm es einfach hin. In unserer Familie waren ohnehin manche Dinge anders als in anderen.
    Ich folgte meinem Großvater und wollte mich zu ihm setzen, aber er winkte rasch ab. »Sei ein Schatz und gieße deinem armen alten Großvater einen Whisky ein«, bat er. »Den brauche ich jetzt.«
    Ich nickte, ging zu dem kleinen Teewagen neben der Tür, der uns als Bar diente, und goß zwei Gläser voller goldbraunem Scotch ein. Ich selbst nippte nur vorsichtig an dem hochprozen-tigen Gebräu ich habe mir nie viel aus Alkohol gemacht , aber mein Großvater kippte sein Glas in einem Zug herunter, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Seine Hand zitterte noch immer wie Espenlaub, als er mir das Glas hinhielt, damit ich es erneut füllte. Ich gehorchte, obwohl ich den Eindruck hatte, daß er es nur tat, um Zeit zu gewinnen.
    »Also?« fragte ich, nachdem ich zurückgekommen war und zusah, wie er seinen zweiten Whisky wesentlich bedächtiger trank. Großvater zuckte mit den Achseln und starrte an mir vorbei ins Leere. »Ich konnte nicht schlafen«, begann er. »Du weißt, daß ich … in letzter Zeit manchmal Schwierigkeiten habe einzuschlafen.«
    Wieder eine Bemerkung, die keinem anderen Zweck diente als dem, Zeit zu gewinnen. Großvater schlief so gut oder so schlecht wie alle Leute seines Alters. Aber ich nickte.
    »Ich … hatte mir ein Buch genommen und ein wenig gelesen, als die Uhr schlug. Es war Mitternacht. Sie schlug, Robert.
    Dreizehn Mal.«
    Ich starrte ihn an. »Dreizehn Mal?« vergewisserte ich mich.
    Großvater nickte. »Ich täusche mich nicht«, sagte er.
    »Ich habe mir angewöhnt, die Schläge zu zählen, weißt du?
    Ich lese immer bis Mitternacht, dann lösche ich das Licht und versuche, doch noch ein paar Stunden zu schlafen. Als sie zum zwölften Mal schlug, habe ich mein Buch zugeklappt. Und dann schlug sie zum dreizehnten Mal.«
    Fünf, zehn Sekunden lang starrte ich ihn an, dann drehte ich mich im Sessel um und sah zu der Uhr hinüber, diesem häßlichen, schrankgroßen Ungetüm, das mich schon immer gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen hatte. Großvater hatte mir ihre Geschichte erzählt: Das Haus, in dem wir wohnten, war nicht so alt, wie es aussah. Auf dem Grundstück Ashton Place Nr. 9 hatte seit jeher eine hochherrschaftliche Villa gestanden, aber Andara-House war vor hundert Jahren
    ungefähr niedergebrannt, wobei alle seine Bewohner ums Leben gekommen waren. Die Ursache dieser Katastrophe wurde nie geklärt. Von dem Haus waren nur die Grundmauern und die Kellergewölbe übriggeblieben und diese Uhr, durch eine Laune des Zufalles völlig unbeschädigt, ja, ohne einen Rußfleck. Als mein Urgroßvater das Grundstück vor achtzig Jahren erwarb und Andara-House nach den Originalplänen wieder aufbauen ließ, da stellte er die Uhr wieder an dem Platz auf, an dem sie vorher gestanden hatte. Bisher war mir diese Geschichte nur ein bißchen sonderbar vorgekommen, allerhöchstens pittoresk aber mit einemmal spürte ich einen eisigen Schauder. Ich war gar nicht mehr so sicher, daß es nur ein Zufall gewesen war.
    Mühsam riß ich mich von dem Anblick los und wandte mich wieder meinem Großvater zu. »Und?«
    »Ich ging herüber«, fuhr er fort, »und dann sah ich es. Die Tür stand offen, und dieses Licht …« Er sprach nicht weiter, als hätte er damit alles gesagt. Die Fortsetzung der Geschichte kannte ich zwar trotzdem wußte ich, daß er in seinem Bericht das Wesentliche ausgespart hatte.
    Großvater muß wohl gespürt haben, daß ich ihm nicht glaubte natürlich, er kannte meine sonderbare Begabung, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, ja ebensogut wie ich , denn er wich meinem Blick aus und verkroch sich wieder hinter seinem Glas. Als er es mir das dritte Mal zum Nachfüllen hinhielt, schüttelte ich den Kopf. Enttäuscht ließ er das Glas sinken, sagte aber nichts mehr.
    »Was war das?« fragte ich noch einmal. Großvater ließ sich mit der Antwort Zeit. Schließlich seufzte er.
    »Ich weiß es nicht«, erklärte er. »Ich … habe einen Verdacht, aber

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