Der falsche Zeuge
1
Am letzten Donnerstag im Oktober
»Sorry«, sagt er grinsend.
Ich liege mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden. Starre mit Rachegelüsten den jungen, muskelbepackten Kerl an, der sich hochmütig vor mir aufbaut. Aber ich bin fest entschlossen, meinem Temperament auf keinen Fall freien Lauf zu lassen. Erlaube der Wut nicht, die Oberhand zu gewinnen.
Verdammter Idiot!
Er kann seine Zufriedenheit noch nicht mal für sich behalten. Grinst siegessicher auf mich herab und geht dabei zwei, drei Schritte rückwärts. Dieser Gesichtsausdruck ist einfach nur überheblich.
Von wegen sorry!
Die ganzen letzten Wochen hat er mich beim Karatetraining herausgefordert und mir gedroht. Hat immer wieder versucht, mich vor der ganzen Gruppe bloßzustellen. Aber die Kampfregeln hat er eingehalten.
Bis heute.
Deswegen habe ich nicht damit gerechnet, dass nach dem Schlag noch ein brutaler Tritt folgen würde.
Ich bin sicher, dass das kein Versehen war. Er hat mit voller Kraft zugetreten. Wie ein Hammer. Traf mich direkt auf die Brust. Absichtlich.
Klare Sache.
»Steh auf!«, sagt der Trainer trocken.
Ein Mann in den späten Vierzigern mit schwarzem Gürtel. Er verzieht keine Miene. Tut so, als wäre alles in bester Ordnung.
Von ihm bekomme ich kein Mitleid. Habe ich allerdings auch nicht erwartet. Diese Kerle halten doch immer zusammen.
Diese verfluchten Grobiane!
Ich achte darauf, mir keine Anzeichen von Schmerzen anmerken zu lassen. Ich weiß, dass ich nach diesem Tritt bestimmt grüne und blaue Flecken bekomme.
Stehe langsam auf. Richte meinen weißen Anzug. Zwinge mir ein seichtes Lächeln auf die Lippen.
»Beiß die Zähne zusammen, Stella!«
Sagt Mama.
Am besten so tun, als ob ich es mit Humor nehme und ein braves Mädchen wäre. Als ob ich ihm erlauben würde, mich wie eine untergebene Ehefrau zu schlagen.
Um diesen Widerling zu täuschen.
Ich stehe dem Kerl erneut gegenüber. Schaue ihm kalt in die Augen. Warte darauf, dass er seine Deckung aufgibt.
Er achtet nicht besonders gut auf mich. Ist viel zu zufrieden mit sich und seinem Erfolg. Glaubt, dass ich nicht an ihn herankomme. Dass er genauso unberührbar ist wie Gott im Himmel.
Jetzt!
Ich ergreife blitzschnell die Gelegenheit. Reiße das Bein hoch in die Luft. Lege meine ganze Kraft in den Tritt. Treffe den beschränkten Kraftmeier direkt auf die Stirn.
Der Kerl wankt unter dem unerwarteten Schlag. Sein Gegrinse verzieht sich.
Wunderbar!
Er fasst sich mit seiner linken Hand an den Kopf.
Jetzt bringe ich das falsche Lächeln komplett zur Strecke. Lasse auf den Tritt noch einen gezielten Handkantenschlag mit der rechten Hand folgen. Treffe auf den Bizeps. So fest, wie ich kann.
Er jault auf, der schlaue Fuchs.
»Was machst du denn da?«, ruft der Trainer.
Auf einmal ist er empört.
Immer die gleiche Geschichte. Es kommt darauf an, wer die Regeln bricht. Doch diese Doppelmoral überrascht mich nicht mehr. Zumal mir solche Rambos mittlerweile wirklich zum Hals raushängen.
Der Teufel soll sie holen!
Der Kerl kriegt wieder den Fokus rein. Er massiert seinen schmerzenden Arm und wartet ab. Als ob er nicht so genau wüsste, wie er reagieren sollte.
Schließlich grinst er wieder breit. »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagt er mit rauer Stimme.
Eine versteckte Drohung?
Kein Zweifel.
Aber sollte ich mir deshalb Sorgen machen?
Nee, keine Lust.
Ich habe zwar erst seit ein paar Monaten Karate trainiert, und mein Gürtel ist immer noch knallgelb. Aber ich habe bereits gelernt, mich zu wehren. Auf Angriffe schnell zu reagieren. Auf Hiebe und Tritte.
Gewalttätige Wüteriche können mich nicht länger angreifen, ohne dass ich es ihnen heimzahle. Lasse sie die Folgen am eigenen Körper spüren.
Die Stunde ist um.
Der Kampf hat auch innere Feuer entfacht und eine Flutwelle von Adrenalin durch meinen Körper gejagt.
Jeden Tag ein guter Tritt. Oder so.
Teufel, geht’s mir gut!
Trotz des fortgeschrittenen Nachmittags muss ich mich noch um ein paar Fälle kümmern, bevor heute bei mir Dienstschluss ist. Um diverse größere und kleinere Aufgaben.
Am Wochenende möchte ich meinem Stella-Sparschwein ein paar Scheinchen hinzufügen, wenn der Sýslumadur {} seine regelmäßige Versteigerung von gepfändeten Autos vornimmt.
Habe schon zwei Jeeps und einen PKW einkassiert, die am Samstag versteigert werden sollen, es sei denn, die Besitzer legen vorher das passende Kleingeld auf den Tisch.
Muss nur noch ein Auto finden. Einen neuen Luxusjeep, der einige
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