Der Erdbeerpfluecker
zärtlich sein. Aber manchmal ist er abweisend, roh. Dann sieht er mich an mit einem Blick, vor dem ich Angst bekomme. Ich habe noch nicht herausgefunden, wieso seine Stimmungen so schnell umschlagen können. Es muss doch einen Auslöser dafür geben.
8. Juli
Ich liebe, liebe, liebe ihn!
9. Juli
Er mag es nicht, wenn ich mich schminke. Oder mich verführerisch anziehe. Er ist ein Modemuffel. Und altmodischer als der Papst. Aber selbst das liebe ich an ihm.
Er hasst es, wenn ich zu laut rede oder lache. Das findet er ordinär. Ich hab nicht gewusst, dass es Männer gibt, die dieses Wort noch benutzen. Manchmal redet er wie eine Figur aus einem Roman von Rosamunde Pilcher.
Eigentlich mag er vieles nicht. Aber ich finde es gut, dass er mir das sagt. So kann ich es vermeiden, ihn aufzuregen.
10. Juli
Ich glaube, er würde es auch nicht mögen, wenn er wüsste, dass ich Tagebuch schreibe. Das darf ich ihm niemals erzählen! Denn auf mein Tagebuch kann ich nicht verzichten, nicht mal ihm zuliebe. Es hat mir in all den Jahren geholfen, am Leben zu bleiben.
Am Leben zu bleiben. Bert ging zum Kaffeeautomaten im Flur hinaus, warf ein Fünfzigcentstück ein und beobachtete, wie der braune Plastikbecher herausplumpste. Die Maschine gab ein paar Geräusche von sich, die klangen, als läge sie in den letzten Zügen, dann spuckte sie in einem dünnen Strahl den Kaffee aus.
Vielleicht, dachte Bert, während er von dem heißen Kaffee nippte und langsam in sein Büro zurückkehrte, vielleicht vergaloppiere ich mich, wenn ich auf diese Spur setze. Aber etwas anderes habe ich nicht.
Sein Gefühl sagte ihm, dass er diesen Mann auftreiben musste, von dem Caro in ihrem Tagebuch schrieb, diesen Mann, der jeden ihrer Gedanken besetzt zu haben schien. Normal war diese Beziehung nicht gewesen.
Bert erinnerte sich an die ersten Wochen mit Margot. Nachdem er sie endlich erobert hatte, war er vollkommen außer sich gewesen. In einem wahren Glückstaumel war er durch die Tage geirrt und hatte allen Leuten mit seinem Liebesgestammel den Nerv getötet. Es wäre undenkbar für ihn gewesen, nicht über seine Verliebtheit zu sprechen. Es hätte ihn zerrissen.
11. Juli
Sonette möchte ich schreiben. ßber ihn. Über mich. Über uns. Und sie aus einem Flugzeug über die ganze Stadt verstreuen. Damit alle sie lesen können. Damit alle wissen - das ist der Mann, den ich liebe.
Aber ich darf ja nicht mal drüber reden.
»Und Jette und Merle?«, hab ich ihn gefragt. »Wir haben uns immer alles anvertraut.«
»Es ist doch nur für kurze Zeit«, hat er gesagt und mich angeguckt, dass mein Herz angefangen hat zu flattern wie ein gefangener Vogel. »Danach kannst du es meinetwegen in der Zeitung abdrucken.«
Er hat mich in die Arme genommen und ich hatte Lust, sein Hemd aufzuknöpfen. Aber er hat meine Hände festgehalten und mich geküsst. Und dann hat er angefangen, über irgendwas zu reden, und dann war die Stimmung vorbei.
Bert trank nachdenklich seinen Kaffee. Er schmeckte erstaunlich gut für einen Automatenkaffee. Vielleicht gelang es dem Koffein, sein Gehirn in Schwung zu bringen. Er kam sich langsam und träge vor.
Eine Stunde später klappte er Caros Tagebuch zu und schob es zur Seite. Er musste versuchen, objektiv zu bleiben. Dieses Mädchen und seine Geschichte kamen ihm zu nah. Das war nicht gut. Er musste einen kühlen Blick auf die Dinge bewahren. Nur so konnte er erfolgreich sein. Niemals durfte das Schicksal eines Opfers ihn zu sehr berühren.
Er dachte an Caros schmales kleines Gesicht. An ihren schmächtigen Körper. Ihre spitzen Schultern. Die abgekauten Fingernägel. Die Narben an ihren Armen und Beinen.
Seufzend zog er sich die Unterlagen zu diesem Fall heran, die inzwischen einen beträchtlichen Umfang angenommen hatten. Er hätte sich liebend gern in eine andere Arbeit vertieft, um sich abzulenken. Aber alles auf seinem Schreibtisch drehte sich um Caro.
Als seine Kollegin ins Zimmer kam, um irgendwas mit ihm zu besprechen, schnauzte er sie grundlos an. Sie zog nur die Augenbrauen hoch. Seit Jahren waren sie ein eingespieltes Team und kannten die Vorzüge und Schwächen des anderen, als wären sie ein altes Ehepaar.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich weiß nicht, warum dieser Fall mir so unter die Haut geht.«
Weil Caro ihm sehr ähnlich gewesen war. Weil sie wie er gelitten hatte. Doch das ging keinen etwas an.
Imke Thalheim hatte Angst um ihre Tochter. Sie versuchte, sie zu verdrängen, wie
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