Der Erdbeerpfluecker
Geschichte mit Caro, sie selbst und alles, was mit ihr zusammenhing, war überwältigend für ihn gewesen. Es hatte ihn unvorsichtig gemacht, sein natürliches Misstrauen eingelullt.
Er hatte wirklich geglaubt, seine Liebe gefunden zu haben.
In der Dunkelheit des Kinos konnte niemand sehen, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er unterdrückte das Schluchzen, das ihm in die Kehle stieg, weinte lautlos weiter, um sich, um Caro und um eine Liebe, die doch nur Verlangen gewesen war.
Margot strafte ihn mit Verachtung. Die Kinder waren schon im Bett. Dies war der zweite Tag, an dem sie ihren Vater nicht zu Gesicht bekommen hatten.
Sie hatte ihm nicht mal ein Brot geschmiert. Bert saß in der Küche und trank ein Bier, obwohl es ihm nicht schmeckte. Er hatte den ganzen Tag nichts Handfestes zu sich genommen, ihm war flau im Magen und er war frustriert.
Aus dem Wohnzimmer hörte er Fernsehgeräusche. Ein Krimi. Als wollte Margot ihm demonstrieren, wie man einen Fall aufklärt. Bert grinste freudlos. Die Drehbuchschreiber erarbeiteten sich ihre Fälle auf dem Papier. In der Wirklichkeit funktionierte das so leider nicht. Man konnte geniale Intuitionen haben, mit einem gut eingespielten Team zusammenarbeiten und ungeheuer fleißig sein - wenn das Quäntchen Glück fehlte, schoss man am Ziel vorbei.
Den ganzen Tag lang hatte er noch einmal sämtliche Spuren bedacht. Er hatte über eine Stunde vor seiner Pinnwand gesessen und die Fotos, Landkarten und Notizen angestarrt. Er hatte noch einmal in Caros Gedichten und in ihrem Tagebuch gelesen. Er hatte mit Norddeutschland telefoniert und sechs Becher Kaffee getrunken, während er anschließend vor sich hingegrübelt hatte. Ohne Ergebnis.
So ist das, Margot, dachte er. So und nicht anders. Mein Job besteht hauptsächlich aus mühsamer, unspektakulärer Kleinarbeit und Grübeln. Diesen Krimi da, den kannst du wahrscheinlich in der Pfeife rauchen.
Bert trank den letzten Schluck Bier und stand auf. Alle Knochen taten ihm weh. Als wäre er ein alter Mann. Er schleppte sich die Treppe hinauf und betrat leise das Zimmer seines Sohnes. Er zog die verrutschte Bettdecke gerade und deckte den Jungen zu, blieb eine Weile stehen und sah in das entspannte Kindergesicht.
Wenn du nicht wärst, dachte er, und deine Schwester, würde ich packen und mir ein Zimmer suchen. Ich fühle mich so leer, so benutzt und missverstanden.
Seine Tochter im anderen Zimmer brauchte er nicht zuzudecken, er strich ihr nur sanft übers Haar. Sie schlief so fest, dass sie sich nicht einmal bewegte.
Bert setzte sich zu ihr ans Fußende, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, zog die Knie an und umschlang sie mit den Armen. Er hörte den Atemzügen der Schlafenden zu und schloss erleichtert die Augen. Sie lebte. War gesund und fröhlich. Niemand hatte ihr bisher ein Leid zugefügt. Mit ihren acht Jahren war sie noch immer behütet, geschützt vor der Welt.
Bis jetzt, dachte Bert. Seine Augen brannten vor Müdigkeit. Er sollte endlich zum Arzt gehen und sich eine Brille verschreiben lassen. Nur wann? Er hatte nie Zeit für solche Dinge.
Bis jetzt, dachte er wieder. Ich müsste doch am besten wissen, dass man niemanden vor der Welt schützen kann.
Als wollte sie seinen Gedanken beantworten, stöhnte seine Tochter leise auf.
»Ist gut«, murmelte Bert beruhigend. »Schlaf weiter.«
Manchmal kam es ihm so vor, als bestehe das Elterndasein hauptsächlich aus Beschwörungsformeln. Es wird alles wieder gut. Dir passiert schon nichts. Hab keine Angst. Hatte er je an seine eigenen Worte geglaubt?
Jedes Mal, wenn er wieder vor der Leiche eines Kindes oder eines jungen Menschen stand, rief Bert zu Hause an, um sich zu vergewissern, dass es seinen Kindern gut ging. Jedes Mal durchzuckte ihn beim Anblick des toten Körpers ein Schmerz, der ihm die Luft abschnürte.
Wie würde er empfinden, wenn jemand seiner kleinen Tochter angetan hätte, was der Halskettenmörder diesen vier Mädchen angetan hatte?
Ich würde ihn umbringen, dachte Bert kalt. Ihn aufspüren und umbringen.
Aber damit wollte er sich jetzt nicht belasten. Er wollte nur hier sitzen und den Schlaf seiner Tochter bewachen. Als Wiedergutmachung dafür, dass er sich heute nicht um sie gekümmert hatte.
Noch eine halbe Stunde vielleicht, dann würde er nach unten gehen und mit Margot zu reden versuchen. Eine Ehe war erst dann zu Ende, wenn keine Worte mehr übrig waren. Und keine Gefühle. Wo noch gestritten wurde, war noch
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