Der Erdbeerpfluecker
gebildet worden, die aus hiesigen Ermittlern und Kollegen aus Norddeutschland bestand. Man arbeitete eng zusammen und tauschte sämtliche Informationen aus. Bisher ohne Erfolg. Es war zum Verrücktwerden.
Die Polizeipsychologin, ebenfalls vom Chef zum Mitglied der Sonderkommission bestimmt, hatte ein Täterprofil erarbeitet, das sie bei einer der Frühbesprechungen vorgelegt hatte:
Allein stehend. Gehemmt (möglicherweise aber auch das Gegenteil). Sohn einer dominanten Mutter. Einzelkind. Von Gewalt geprägte Kindheit. Starke religiöse Überzeugungen. Keine sozialen Bindungen. Intelligent. Vorsichtig. Geringe Aggressionsschwelle. Sexuell unerfahren.
»Wieso«, hatte Bert die Psychologin gefragt, »steht nirgends das Wort
pervers
?«
»Weil wir in solchen Kategorien nicht denken«, hatte sie geantwortet. »Es geht nicht um Wertung. Es geht um Einschätzung.«
»Nein«, hatte Bert widersprochen. »Es geht um Wortklauberei. Wenn diese Morde nicht pervers sind, was dann?«
Sie konnten nicht miteinander. Das war inzwischen ein offenes Geheimnis.
Aber Bert verließ sich ohnehin lieber auf sein Gefühl als auf ein Täterprofil. Und sein Gefühl sagte ihm, dass er sich auf Caros unbekannten Freund konzentrieren sollte. Das Mädchen war nicht vergewaltigt worden. Vielleicht, weil der Mörder in sie verliebt gewesen war?
Bert machte das Fenster seines Büros weit auf, zog das Sakko aus und nahm sich das Tagebuch und die Gedichte noch einmal vor. Die Wahrheit lag vor ihm auf dem Tisch. Er musste sie nur erkennen.
Sie war anders als Caro. Ernster. Verschlossener. Irgendwie spröde. Hielt einen Beobachter auf Distanz. Bestimmt fiel es den Jungs nicht leicht, sie anzusprechen.
Georg hatte sofort gewusst, wer von den beiden Jette war und wer Merle. Für den Tierschutz hatte er nichts übrig. Nicht jedenfalls, wenn er übertrieben wurde. Einem Schäferhund, hatte er neulich im Radio gehört, standen mehr Quadratmeter zu als einem Kind. Wenn das keine verkehrte Welt war!
Er hatte vor ihrem Haus geparkt und gewartet. Irgendwann, hatte er gedacht, würde er sie zu sehen kriegen. Es war Abend und er hatte Zeit.
Als sie aus dem Haus gekommen waren, war er ausgestiegen und ihnen gefolgt. Kurz war der Gedanke an Caro in ihm aufgeblitzt, ein Schmerz, den er noch immer nicht im Griff hatte.
»Die Zeit heilt alle Wunden«, hatte seine Großmutter immer gesagt. Er hätte ihr so gern geglaubt. Aber schon als kleiner Junge hatte er gewusst, dass dieser Satz bloß eine gnädige Lüge war. Dass es Wunden gab, die nichts und niemand heilen konnte.
Jette und Merle hatten sich eingehakt. Sie redeten leise miteinander, aber sie lachten nicht, wie Mädchen das meistens taten. Die Zeit der Trauer würde auch für sie noch lange dauern.
Vorm UCI blieben sie stehen und studierten die Anzeigentafel. Kino. Das war gut. Dunkel und anonym genug, um näher an sie heranzukommen.
Sie entschieden sich für eine Komödie. Auch das war ihm recht. Man erfuhr im Lachen viel mehr über einen Menschen als im Weinen.
Und dann saß er hinter ihnen in der Dunkelheit, so nah, dass er nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um Jette zu berühren.
Sie schrieb und schrieb. Die Worte flossen nur so aus ihr heraus. Das hatte Caro mit ihren Gedichten bewirkt. Imke kam sich vor wie ein Parasit. Aber was sollte sie tun? Den Fluss unterbrechen?
Die Liebesgeschichte in ihrem neuen Roman hatte an Farbigkeit gewonnen, an Aufrichtigkeit und an Poesie. Das verdankte sie Caro und ihren Gefühlen für diesen geheimnisvollen Mann, den keiner kannte.
Imke tröstete sich damit, dass sie sich einredete, sie setze Caro mit diesem Buch so etwas wie ein Denkmal. Eine hartnäckige Stimme in ihrem Innern allerdings beharrte darauf, dass sie Caro ausnutze, und das auf eine ganz erbärmliche Art und Weise.
Edgar und Molly lagen auf dem Teppich vorm Fenster und schliefen. Sie mochten die Tippgeräusche und das leise Surren des Computers. Die Landschaft draußen glänzte wie poliert. Der kurze Regen am Nachmittag hatte den Pflanzen gut getan.
Eine Idylle. Und das Land gehörte ihr, so weit der Blick reichte.
Nie würde sie sich daran gewöhnen, reich zu sein. Immer würde sie die heimliche Befürchtung mit sich herumschleppen, eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass sie alles nur geträumt hatte.
Das Telefon klingelte.
Sie nahm nicht ab. Wenn sie so schrieb wie in diesem Augenblick, beinah atemlos, dann ließ sie sich nicht stören. Das
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