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Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Flasche und zwei gedrungene, dickwandige Pokale aus grünlichem Glas mit nach draußen gebracht. »Der Wein vom Sohn meines Weibes«, sagte er. »Vom Eichenhof, im Mitteltal. Ein guter Jahrgang, vor sieben Jahren.« Es war ein herber Rotwein, der Erle kräftig durchwärmte. Die Sonne ging in stiller Klarheit unter. Der Wind legte sich. Die Vögel in den Obstbäumen machten ein paar abschließende Bemerkungen.
    Erle war verblüfft gewesen, als er vom Meister der Formgebung von Rok erfahren hatte, dass der Erzmagier Sperber, jener Mann der Legende, der den König aus dem Reich des Todes heimgebracht hatte und danach auf dem Rücken eines Drachen davongeflogen war, noch lebte. Er lebe noch, hatte der Formgeber gesagt, und zwar auf seiner Heimatinsel Gont. »Ich sage dir etwas, das nicht viele wissen«, hatte der Formgeber gesagt, »denn ich glaube, dass du es wissen musst. Und ich glaube, dass du sein Geheimnis wahren wirst.«
    »Aber dann ist er ja immer noch Erzmagier!«, hatte Erle erfreut ausgerufen: denn es war allen Männern der Kunst sowohl ein Rätsel als auch Anlass zur Sorge gewesen, dass die weisen Männer von der Insel Rok, der Schule und dem Zentrum der magischen Kunst im Archipel in all den Jahren von König Lebannens Herrschaft keinen Erzmagier ernannt hatten, der an Sperbers Stelle treten sollte.
    »Nein«, hatte der Formgeber erwidert. »Er ist überhaupt kein Magier!«
    Der Formgeber hatte ihm ein wenig davon erzählt, wie Sperber seine Macht und seine Kraft eingebüßt hatte - und warum. Und Erle hatte Zeit gehabt, über alles nachzusinnen. Dennoch waren hier, in der Gegenwart dieses Mannes, der mit Drachen gesprochen hatte, der den Ring Erreth-Akbes zurückgebracht hatte, der das Reich der Toten durchquert und das Archipel vor dem König regiert hatte, all diese Geschichten und Lieder in seinen Gedanken präsent. Wiewohl er ihn alt sah, zufrieden mit seinem Garten, bar jeder Macht in oder an sich außer der einer Seele, die geformt worden war von einem langen Leben des Denkens und des Handelns, gewahrte er immer noch einen großen Magier. Und deshalb verwirrte es ihn beträchtlich, dass Sperber ein Weib hatte.
    Ein Weib, eine Tochter, einen Stiefsohn ... Magier hatten keine Familie. Ein gemeiner Zauberer wie Erle mochte heiraten oder es lassen, aber die Männer der wahren Macht waren ledig. Erle konnte sich vorstellen, wie dieser Mann auf einem Drachen ritt, das war nicht schwer, aber ihn sich als Ehemann und Vater vorzustellen war etwas gänzlich anderes. Er vermochte es nicht. Er versuchte es. Er fragte: »Euer - Weib ... Es ist also bei seinem Sohn?«
    Sperber kehrte von weither zurück. Sein Blick war bei den westlichen Golfen gewesen. »Nein«, sagte er. »Sie ist in Havnor. Beim König.«
    Nach einer Weile, als er ganz zurückgekehrt war, fügte er hinzu: »Sie ging gleich nach dem Langtanz mit unserer Tochter dorthin. Lebannen schickte nach ihnen, um Rat einzuholen. Vielleicht in derselben Angelegenheit, die dich hierher zu mir führt. Wir werden sehen ... Aber die Wahrheit ist, ich bin heute Abend müde und nicht dazu aufgelegt, schwerwiegende Dinge abzuwägen. Und auch du siehst müde aus. Also, wie wär's mit einer Schale Suppe und noch einem Glas Wein und etwas Schlaf? Und morgen reden wir dann.«
    »Alles mit Vergnügen, Herr«, sagte Erle, »bis auf den Schlaf. Den fürchte ich.«
    Der alte Mann brauchte eine Weile, um die Worte zu registrieren, aber dann fragte er: »Du fürchtest dich vor dem Schlaf?«
    »Vor den Träumen.«
    »Aha.« Ein durchdringender Blick aus den dunklen Augen unter buschigen, halb ergrauten Brauen traf Erle. »Du hattest einen guten, festen Schlaf dort im Gras, will ich meinen.«
    »Der erquickendste Schlaf, den ich hatte, seit ich das Eiland Rok verließ. Ich bin Euch für diese Wohltat dankbar, Herr. Vielleicht wird sie mir heute Nacht wieder zuteil werden. Aber wenn nicht, ringe ich mit meinem Traum und schreie und wache auf und bin jedem in meiner Nähe eine Last. Ich werde draußen schlafen, wenn Ihr gestattet.«
    Sperber nickte. »Es wird eine angenehme Nacht werden«, sagte er.
    Es war eine angenehme Nacht: kühl, mit einer milden Meeresbrise von Süden und einem Himmel, der hell war von den Sternen des Sommers, außer dort, wo der breite, dunkle Gipfel des Berges aufragte. Erle breitete das Strohbett und das Schaffell, das sein Gastgeber ihm gab, an der Stelle im Gras aus, wo er schon zuvor geschlafen hatte.
    Sperber lag in dem kleinen Alkoven an der

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