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Der erschoepfte Mensch

Der erschoepfte Mensch

Titel: Der erschoepfte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotraud A. Perner
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des Herzens zum Ertragen von Angst, Schmerz und Trauer liegt darin, dass ersteres Folge eines unfreiwillig erlittenen Mangels darstellt, zweiteres aber eine freiwillige Hingabe an die Realität. Im Vaterunser beten Christen, »Dein Wille geschehe«, und wenn sie es ernst und innig meinen, schaffen sie damit Raum, damit Gott wirken kann. Sich hingeben bedeutet, Widerstand aufgeben, auf den eigenen Willen verzichten – und gleichzeitig aktiv und bereit zu sein, die gerechten Aufgaben zu übernehmen, die einem das Leben stellt. In der Öffnung der Hingabe kann man die Kraft (die Energie) und die Herrlichkeit (das Schöne) aufnehmen, die ja immer da sind – man sieht sie nur nicht, wenn die Augen nicht offen sind.
    Die Angst vor der Leere,
dem Nichts und dem Tod
überwindet man, indem man lernt,
sie auszuhalten.
    Viele Menschen, die sich nach dieser Seelenruhe sehnen, stoppen aber sicherheitshalber ihren gedankenfreien »Gang nach innen«. Ich höre immer wieder von Klienten (männlich!), sie hätten Angst davor, was da an nicht geahnten Dunkelseiten ihres Wesens auftauchen könnte, wenn sie ihre Selbstkontrolle aufgäben. Ich lade dann immer ein, die Schattenanteile einfach vorbeiziehen zu lassen, frei nach dem chinesischen Sprichwort, man könne nicht verhindern, dass Vögel über den Kopf hinweg fliegen – man könne aber sehr wohl verhindern, dass sie in den Haaren ein Nest bauen. Da schließe ich mich Alain Finkielkraut an, wenn er mahnt:»Es geht immer darum, dem Sein in seiner Abgesichertheit eine heilsame Erschütterung beizubringen und den Menschen zu beunruhigen, um ihn besser humanisieren zu können« 234 , denn »nicht aufgrund seiner Eigenschaften, Fähigkeiten oder Vorrechte erkennt sich der Mensch im anderen, sondern anhand der Qualen, die ihn niederdrücken«. 235
    Der Soziologe Alain Ehrenberg schreibt dazu unter Hinweis auf Sigmund Freud, Neurotiker wollten edler sein, als ihnen ihre Konstitution erlaubt, während Depressive in einer Denkweise stünden, in der Minderwertigkeitsgefühle vorherrschen. Ich sehe heute dagegen viele Menschen bemüht, zwischen diesen beiden Extremen eine Mitte zu finden, in der sie ein stabilisierendes Selbstwertgefühl aufrecht erhalten können, ohne sich über ihre Begrenzungen belügen zu müssen – und diese Sisyphus-Arbeit raubt ihnen zusätzlich zur Arbeitsbelastung Energie. Ehrenberg schreibt weiter:»Die depressive Persönlichkeit verharrt im Zustand der permanenten Adoleszenz, es gelingt ihr nicht, erwachsen zu werden und die Frustrationen, die das Geschick eines jeden Lebens sind, zu akzeptieren. Daraus resultiert das ständige Gefühl der Unsicherheit oder Labilität«, und er kommt zu dem Schluss:»Daher rühren eine besondere Schwierigkeit, Leiden zu ertragen, und die fortwährende Suche nach Wohlbefinden.« 236 Diese hektische Suche gleicht einer Flucht. Sie verhindert Innehalten und Selbstbesinnung.
    Da die meisten Menschen einseitig darauf trainiert sind, immer alles im Auge zu behalten, immer alle Informationen schnell zu erhaschen und zu verarbeiten, immer auf alles schnell zu reagieren, und weil im Beruf der flexible, mobile, immer in Bewegung befindliche und daher angespannte Mensch erwartet und gefordert wird (vor allem, weil er sonst Gefahr läuft, aus Unachtsamkeit Opfer von Maschinen zu schaffen oder selbst zu werden), verlernen sie das Umschalten auf gefühlsmäßiges Wahrnehmen und verpassen damit auch die Chance, Schauen und Fühlen in Einklang zu bringen. Sie sollen ja nach den Vorgaben ihrer Arbeitgeber auch gar nicht fühlen, sondern nur Robotern gleich funktionieren.
OPFER VON MASCHINEN
    Opfer von Maschinen wird man heute auf jeden Fall: Das Opfer besteht in Lebensqualität, Sanftmut und Liebesfähigkeit.
    Wie Ernest Rossi schon 1991 aufzeigte, verlocken künstliches Licht, Computer und unzählige Fernsehsendungen, die zirkadianen Rhythmen (vgl. oben, S. 41f.) zu ignorieren. Statt mit den Hühnern zu Bett und ebenso wieder hinaus, macht man die Nacht zum Tag und verschwendet damit nicht nur elektrische Energie aus dem Stromnetz, sondern auch das eigene bio-energetische Potenzial. Üblicherweise wird man müde, wenn es draußen dunkel wird, weil dann der Körper Melatonin ausschüttet und auf die Regenerationsphase einstimmt. Aber statt dem Diktat des Körpers zu folgen, konsumiert man(n) Energy Drinks und Pornofilme als Aufputschmittel.
    So erzählte mir ein Kollege, er greife zur abendlichen Entspannung in seine Videothek und erfreue sich

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