Der erschoepfte Mensch
dem Durchschnittsmenschen zwischen Beruf und Fortbildung, von Minimalhaushaltserfordernissen abgesehen, keine Zeit mehr bleibt, sich in die Tiefenarbeit der Abstimmung mit jemandem einzulassen, der oder die überhaupt erst bereit sein muss, Zeit und Energie zu spenden und nicht nur narzisstische Zufuhr zu fordern?
Zur kritischen Beobachtung, was einem selbst Kraft nimmt, braucht es längerfristiges Innehalten, Nachspüren und den Mut, sich nicht an der allgegenwärtig melodiös propagierten und mit Hilfe von Glücksratgebern indoktrinierten Jagd nach dem Glück zu beteiligen. »Don’t worry, be happy!« und »Yes we can!«, denn: »You can do it if you really want!«
Das ist nur die Begleitmusik und subtiles Product Placement zu einem Zeitgeist von Allmachbarkeit und Allmachtswahn. Potenz für ewig.
Energie folgt der Aufmerksamkeit, und wenn die Aufmerksamkeit auf die Jagd nach Glück durch Erfolg gelenkt wird, lenkt sie gleichzeitig vom Erkunden der Ursachen des Unglücklichseins und der Erfolglosigkeit ab. Beides gehört aber zu einem »ganzen«, einem vollständigen Leben dazu. Diese Schattenseite wird in einer Konsumgesellschaft, die für alles ein Produkt oder eine Dienstleistung anbietet, verschwiegen oder verleugnet.
Denn: Welchen Informationswert haben etwa Berichte über »späte Väter«, wenn nicht den, bei denjenigen Männern, die schon »in den Hosen lahmen« 3 , die Nachfrage nach Viagra, Cialis & Co zu steigern? Gebildete Menschen sollten wissen, dass ab etwa vierzig die Gene nicht mehr die Güte besitzen wie mit zwanzig – Stress und Substanzmissbrauch unberücksichtigt. In Hinblick auf das zunehmende Phänomen der »Quarterlife Crisis« – der psychischen Erschöpfung Ende zwanzig – müsste der Zeitpunkt vermutlich sogar noch früher angesetzt werden.
Ebenso sollten Frauen merken, dass triumphierende Berichte über »böse Dellen« an weiblichen hinteren Oberschenkeln 4 nicht der Akzeptanz des hormonbedingten Bindegewebes von Frauen dienen, sondern suggerieren, Frauen sollten die gestählte Muskulatur von Bodybuildern aufweisen (abgesehen von Grenzüberschreitungen wie Meuchelfotos aus dem Privatbereich und der Überheblichkeit, sich als quasi Jury aufzuspielen) und daher die einschlägigen Dienstleistungen zur Tarnung von Alterungsanzeichen inklusive Fettabsaugung und Stilllegung der Mimik mittels Botox-Injektionen (insgeheim aber die Abwehr der Angst, seine Arbeitsstelle oder Partnerperson an Jüngere zu verlieren) kaufen.
Das sind nur ein paar immer wiederkehrende Themen. Es gibt noch viele andere. Das notwendige Lifelong Learning beispielsweise, denn »Weiterbildung und Weiterqualifizierung heißen also die Gebote der Stunde«, wie Karin Zauner in den
Salzburger Nachrichten
hinsichtlich der Wohlstandsferne gering qualifizierter Menschen mahnt und dennoch weiß: »Wer sogar mit Job zu wenig Geld hat, um halbwegs über die Runden zu kommen, wer voller Sorge ist, wie er und seine Familie durch den Alltag kommen, und wer zwei Jobs macht, damit alle Rechnungen bezahlt werden können, hat oft weder die Kraft noch die Möglichkeit, sich nebenher weiterzuqualifizieren.« 5 Diese Charakteristik trifft aber nicht nur die Sorgenvollen – sie trifft vor allem auch diejenigen, die meinen, sich keine Sorgen machen zu müssen, sollen oder dürfen, und die die Augen fest vor dem Moloch New Economy verschließen, der Eigenverantwortung und Eigenvorsorge als alleinige Kraftquelle für den individuellen Erfolg preist.
Denn alle eint das Idealbild, jeder Mensch müsste immer und ewig eine roboterhafte Perfektion und Leistung aufweisen, alles andere wäre reparaturbedürftig und krank. »Burn-out identifiziert die Therapeutin als eines der dominanten
Leiden
und erzählt von Klagen über Leistungsdruck, Konkurrenzzwang und harte Arbeitsbedingungen« (Hervorhebung R.A.P.), heißt es in einem Interview mit Dr. Eva Mückstein, der Präsidentin des Österreichischen Berufsverbands der Psychotherapeut/innen. 6 Rund sechs Prozent aller Krankenstandstage würden auf psychische Probleme zurückgeführt; geplant sei daher, mehr Psychologen arbeitsmedizinisch einzusetzen, damit psychische Belastungen früher erkannt würden und man präventiv tätig werden könnte. 7 So dient der Mensch als reparaturbedürftiges Objekt zur Generierung von Arbeitsplätzen für Angehörige von Psycho-Berufen und Arbeitsmediziner/innen.
Energie folgt
der Aufmerksamkeit.
DIE INDIVIDUALISIERUNG VON VERSAGEN
»Im Mittelpunkt der
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