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Der Fall Collini

Der Fall Collini

Titel: Der Fall Collini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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Geschichte studiert. In beiden Fächern habe ich Examina abgelegt, in Geschichte habe ich promoviert. Danach habe ich zwei Jahre Referendariatsdienst inder Archivarschule in Marburg absolviert. Seit anderthalb Jahren leite ich die Außenstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg.«
    »Was ist das für ein Archiv?«
    »1958 wurde die ›Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen‹ gegründet. In Ludwigsburg gab es freie Diensträume, daher wurde diese ›Zentrale Stelle‹ dort errichtet. In die ›Zentrale Stelle‹ wurden Richter und Staatsanwälte aller Bundesländer entsandt. Sie sollten möglichst sämtliche noch vorhandenen Unterlagen über die Verbrechen der Nazis sammeln, Vorermittlungen durchführen und die Verfahren dann an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgeben. Am 1. Januar 2000 wurde in diesem Ludwigsburger Gebäude eine Außenstelle des Bundesarchivs errichtet. Wir verwalten die Unterlagen der ›Zentralen Stelle‹. Es sind etwa achthundert bis tausend laufende Meter Archivgut.«
    »Sie haben also beruflich als Leiterin des Archivs mit Geisel- und Partisanenerschießungen im Dritten Reich zu tun.«
    »Ja.«
    »Können Sie uns mit einfachen Worten erklären, was eine Partisanenerschießung eigentlich ist?«
    »Deutsche und Alliierte haben im Zweiten Weltkrieg Zivilisten erschossen. Es sollte eine Sühne fürAnschläge auf die eigenen Streitkräfte sein und die Bevölkerung zwingen, keine weiteren Anschläge mehr zu begehen.«
    »Ich verstehe. Gab es so etwas oft?«
    »Ja, sehr oft. Zum Beispiel wurden alleine in Frankreich dreißigtausend Menschen erschossen. Insgesamt gehen die Zahlen in die Hunderttausende.«
    »Und gab es nach dem Untergang des Nationalsozialismus Strafprozesse wegen dieser Erschießungen?«
    »Ja, in vielen Ländern. Zum Beispiel in Frankreich, Norwegen, den Niederlanden, Dänemark, Österreich, in Italien vor dem britischen Militärgerichtshof und in Deutschland vor dem amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg. Später gab es natürlich auch in der Bundesrepublik Prozesse.«
    »Mit welchem Ergebnis?«
    »Unterschiedlich. Es gab Freisprüche und Verurteilungen.«
    »Wie sah es zum Beispiel das amerikanische Militärgericht in Nürnberg?«
    »In dem sogenannten Geisel-Prozess wurde deutschen Generälen die hunderttausendfache Tötung unschuldiger Zivilisten in Griechenland, Albanien und Jugoslawien vorgeworfen. Die Anklage hielt es für strafbar.«
    »Und wie entschied das Gericht?«
    »Das Gericht sagte, die Tötung sei ein ›barbarisches Überbleibsel aus der Vorzeit‹. Aber …«
    »… aber was?«, fragte Mattinger.
    »Aber es sei in extremen Fällen erlaubt gewesen.«
    »Erlaubt? Das Töten unschuldiger Zivilisten sei erlaubt? Unter welchen Voraussetzungen sollte das so sein?«, fragte Mattinger.
    »Unter einer ganze Reihe von Bedingungen. Zum Beispiel durften auf keinen Fall Frauen und Kinder getötet werden. Die Tötung durfte nicht grausam sein. Die Menschen durften vor der Hinrichtung nicht gefoltert werden. Es musste auch ernsthaft versucht werden, die eigentlichen Täter der Anschläge zu ergreifen.«
    »Gab es noch weitere Voraussetzungen?«
    »Ja. Die Erschießung musste danach veröffentlicht werden. Nur so konnte die übrige Bevölkerung überhaupt von weiteren Anschlägen abgehalten werden. Umstritten blieb, in welchem Verhältnis eine Erschießung gerechtfertigt sein könnte.«
    »Was meinen Sie damit?«, fragte Mattinger.
    »Durfte man für einen toten Soldaten einen Zivilisten erschießen? Oder zehn? Oder tausend?«, sagte die Sachverständige.
    »Und wie wurde diese Frage beantwortet?«
    »Sehr unterschiedlich. Eine feste Regel gibt es nach dem Völkerrecht nicht. Hitler hat 1941 in einemBefehl eine Quote 1:100 gefordert – das wäre sicher nie durch das Völkerrecht gedeckt.«
    »Was ist die äußerste Grenze?«, fragte Mattinger.
    »Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es dürfen jedenfalls keine Exzesse sein.«
    »Vielen Dank, Frau Dr. Schwan. Kommen wir zum eigentlichen Thema. Sind Sie mit der Akte Hans Meyer vertraut?«
    »Ja, das bin ich.«
    »Gehen wir es mal im Einzelnen durch. Italienische Partisanen zünden 1944 eine Bombe in einem Café in Genua. Zwei deutsche Soldaten werden durch den Anschlag getötet. Wäre das nach den Kriterien, die Sie genannt haben, ein Anschlag?«
    »Ja.«
    »Der Sicherheitsdienst suchte nach dem Anschlag die verantwortlichen Partisanen. Sie wurden nicht

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