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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Landes.
    Kaum noch erträgt der Lemming die innere Spannung. Geh, lass ihn doch zufrieden …, möchte er Krotznig zuflüstern. Aber er kommt nicht mehr dazu.
    «Machen Sie bitte die Zigarre aus», lässt sich die Stimme des Fahrers vernehmen, «das ist ein Nichtrauchertaxi.»
    Der Afrikaner hat seinen Entschluss gefasst. Hat sich für die Würde entschieden und gegen die Furcht vor dem lederbemäntelten Zwei-Meter-Polizisten auf dem Rücksitz. Manchmal trifft der Mensch die falschen Entscheidungen. Manchmal erkennt er das bereits nach Bruchteilen von Sekunden. Ein kleiner, kalter Druck im Genick des Schwarzen, ein scharfes, metallisches Klicken genügt. Der Mund des Taxifahrers wird für den Rest der Fahrt versiegelt bleiben. Krotznig wird die Unterhaltung bestreiten, Krotznig ganz alleine.
    «Jetzt sag amal, du Plattnaserl», tönt Krotznig heiter und bläst eine dicke Rauchwolke nach vorne, dem Schwarzen ins Gesicht, «g’fallt’s dir da bei uns? Weiße Frauen gut ficki, ficki? Oder hast ’leicht dei’ Hauskamel zum Pudern mit’bracht? Hm? Tut es auch eine hübsche kleine Aufenthaltsgenehmigung haben? Na, is jo wurscht, bei de Kamele san mir ned a so, stimmt’s, Partner? Jo, jo, de Negerinnen … Beim Blasn solln s’ jo guad sein, de Bimboweiber mit ihre Wulstlipperln, aber weider unt’n, au weh, völlig ausg’leiert. Des kummt von denan großen Kochbananen, mit denan s’ immer … na eh klar, weil die Herren Bimboschwänze treiben’s viel lieber mit echte Kameldamen …» Krotznig kichert. «Für ein Kamel gehn wir meilenweit, gell, Freinderl? Und wann des Kamel ned will, dann fahrn mir ins schöne Österreich und schnackseln weiße Weiber …»
    Der Druck im Nacken des Fahrers wird stärker. Wieder dieses Klicken in Krotznigs Hand. Und dann noch einmal. Der Afrikaner zuckt zusammen, verreißt das Lenkrad, tritt hart auf die Bremse, verliert die Kontrolle über den Wagen. Schräg schlittert der Mercedes der Währinger Straße entgegen, dreht eine Pirouette unter dem Rotlicht der Ampel und tanzt elegant in die Mitte der Kreuzung. Ein greller Lichtschein streift die weit aufgerissenen Augen des Lemming, zugleich ertönt das ohrenbetäubende Dröhnen eines Nebelhorns, und vor dem Bug des Wagens, keinen halben Meter entfernt, braust wütend etwas Riesiges, Dunkles vorbei, wirbelt Fontänen auf, hüllt das Taxi in eine dichte Wolke glitzernden Pulverschnees.
    «So a Wichser», meint Krotznig fröhlich.
    Der Afrikaner zittert am ganzen Leib. Seine Haut hat nun doch einen leichten Grauton angenommen. Es gelingt ihm, den Wagen zu wenden und, wie in Trance, die dicht verparkte Berggasse hinabzufahren. Steil geht es jetzt hinunter in den Kessel des neunten Bezirks, in die Rossau, wo sich der Smog sein Nest gebaut hat, wo die Luft immer ein wenig schlechter ist als sonst in Wien und wo sich dennoch ein Straßencafé ans nächste reiht. Hier lebte und heilte Sigmund Freud, hier steht, monströs und finster, die Liesl , das Polizeigefangenenhaus mit dem angeschlossenen Hauptkommissariat, hier wohnt schließlich auch der Lemming, keine hundert Meter von den Büros der Mordkommission entfernt und keine fünfzig vom Stammlokal der Krimineser, dem Augenschein .
    Jetzt erst zieht Krotznig wie beiläufig den Arm zurück, jetzt erst erkennt der Lemming den Gegenstand in seiner Hand. Dick und glänzend, ein Kugelschreiber.
    «Harley», gluckst Krotznig, «schreibt wie a Anser und klingt wie a Fünfavierzga. Da steh i drauf …»
    Dann, endlich, parken sie vor dem Augenschein .
    Krotznig öffnet die Autotür, beugt sich ein letztes Mal vor und ergreift das rechte Ohr des Taxifahrers. Knetet es zärtlich zwischen seinen manikürten Fingerkuppen. «Immer brav bleiben, Herr Buschmann, gell? Und bis zum nächsten Mal …»
    Und Gruppeninspektor Krotznig entschlüpft in die kalte Nacht.
    Auch der Lemming steigt aus, zögernd allerdings, dreht sich noch einmal um, als wolle er etwas sagen, besinnt sich eines Besseren, bückt sich stattdessen und legt zwei Hundertschillingscheine auf den Beifahrersitz. Der Schwarze bemerkt es nicht. Er sitzt aufrecht, beide Hände auf dem Lenkrad, und starrt durch Glas und Eis und Finsternis, als könne er in andere Zeiten blicken und weithin zu fernen, warmen Kontinenten.

    «Trinken», murmelt der Lemming. Und noch einmal, etwas lauter: «Trinken!» Gebeugt steuert er auf das spärlich erleuchtete Portal des Augenschein zu. Stößt die Milchglastür auf und tritt ein.

    Die Gaststube des

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