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Der Fall von Katara

Der Fall von Katara

Titel: Der Fall von Katara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theo L. Wuldt
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schienen keine Notiz von ihm zu nehmen. Er wollte das Gebäude schnell wieder verlassen. Er lief die Treppen hinab und ging auf die Straße hinaus. Er beabsichtigte, in die Staatsbibliothek zu gehen und ein paar Nachforschungen in eigener Sache anzustellen. Ihm fiel ein, dass er vergessen hatte, auf dem Amt zu erwähnen, dass er verhältnismäßig große Mengen Geckoscheiße zu sich nahm, aber er glaubte nicht, dass das irgendwelche Auswirkungen auf die Genstruktur hätte. Wenn es sich in seinem Fall um eine Genmutation handelte, musste er irgendwelche hochenergetische oder kosmische Teilchen abbekommen haben. Er konnte sich aber nicht erinnern, wann das jemals gewesen sein sollte. Es war eher wahrscheinlich, dass seinen Eltern dieses Ereignis passiert war.
    Erek kannte weder seinen Vater noch seine Mutter. Er wuchs im Jugendheim von Usiris auf, weil er damals von Unbekannten in der Babyklappe des Waisenhauses abgegeben worden war. Die Überwachungskameras hatten nur zwei vermummte Gestalten ausmachen können, die im Schutz der Nacht schnell wieder verschwunden waren. Obwohl Erek jahrelang recherchierte, hatte er die Identität seiner Eltern nicht ausfindig machen können. Diese Ungewissheit zerrte so stark an seiner Seele, dass er sich schon lange von der Realität verabschiedet hatte, sich hinter Büchern versteckte und in die Welt geheimnisvoller Geschichten flüchtete. Die Gegenwart wurde für ihn zu einem notwendigen Übel, und noch schlimmer war für ihn die Zukunft.
    Erek hasste es, keine Kontrolle über etwas zu haben. Aber genau die Zukunft war es immer, die die Gegenwart verbitterte. Ebenso nagten die Geister der Vergangenheit, mit denen Erek sich vorwiegend abgab, beständig an den Säulen der Zukunft. Es war ein ewiger Teufelskreis. Die Geschichte der Evolution menschlicher Zivilisationen ließ sich nach Ereks Meinung mit nur ein paar Sätzen zusammenfassen: Die Vermessenheit der Menschen befähigte sie dazu, über sich selbst hinauszuwachsen. Genau diese Stärke der Menschen war auch ihre Schwäche. Das führte in vielen Zivilisationen zum Untergang. Nur wenige Völker konnten dadurch existieren, indem sie ihre Wichtigkeit zurücknahmen und sich auf das Wesentliche beschränkten. Ganz im Gegenteil. Die meisten Systeme waren immer auf Wachstum ausgerichtet. Aber ein wucherndes Wachstum führte oft zu Selbsterstickung.
    Übrigens waren es in den seltensten Fällen irgendwelche Naturkatastrophen gewesen, die frühere Zivilisationen zu Fall gebracht hatten, so wie man lange Zeit annahm. Nein. In der Regel hatten sie sich selbst zerstört. Hominide Zivilisationen waren so komplexe Konstruktionen, dass ein kleiner Fehler im System alles ins Wanken bringen konnte. Ungleichmäßige Verteilung von Boden oder Gütern, ungerechtfertigte Erhebungen von Steuern oder nur unsachgemäße Berichterstattung von Vorgängen auf Regierungsebene, also verlogene Medien und Politiker, brachten das Fass oft zum Überlaufen. In Katara wurde aufgrund der ehemaligen Zwangsbesiedelung ein notdürftiges Regierungssystem etabliert, das alles andere als eine ausgewogene Gesellschaftsordnung angestrebt hatte. Man hätte zwar damals die Möglichkeit gehabt, mit bestem Wissen und Gewissen den idealen Staat zu schaffen, doch fand man unzählige Gegenargumente, es nicht tun zu müssen, weil keinem der Mächtigen jemals daran gelegen war, alle in Katara glücklich zu machen. Die Reichen lebten permanent auf Kosten der Armen. Auch das war ein kosmisches Gesetz.
    Vielleicht hätte man sogar mit diesem Missstand leben können, aber die Tatsache, dass keine Kinder mehr geboren wurden, machte einen Strich durch jede Rechnung, auch durch Ereks Rechnung. Es war dummerweise genau das eingetreten, was man schon immer befürchtet hatte. Als vor hunderttausend Jahren Siedlerfamilien von Terra-Eins sich hier niedergelassen hatten, war die genetische Vielfalt viel zu dürftig gewesen. Ohne eine erneute Auffrischung von der Erde war das Genom der Threber dazu bestimmt, früher oder später zu verkümmern.
    Schon seit langer Zeit warteten die Threber auf hohen Besuch und Frisch-DNA von der Erde. Jedoch kam es nie dazu, obwohl man es ihnen oft versprochen hatte, weil immer irgendetwas Unvorhergesehenes dazwischen geraten war. Vor ungefähr hundert Jahren war der Erste Interstellare Krieg ausgebrochen, in den Terra-Eins verstrickt worden war. Da deren Technologie aber weit unterentwickelt gewesen war, hatten sie diesen Krieg haushoch verloren. Viele Terraner

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