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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
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ohrenbetäubend, LKWs donnerten in Richtung Stadtautobahn.
    »Wie kann man hier nur wohnen«, murmelte Gerber beim Aussteigen. Trojan zuckte bloß mit den Achseln.
    Er sah an der Fassade des Neubaus hoch, die in einem verwaschenen Rosa gehalten war, ein hilfloser Versuch, von ihrem Elend abzulenken. Kurz unter dem Dach hatte jemand in riesigen Buchstaben sein Kürzel hinterlassen, UCRM, was immer das heißen sollte. Aus einem Fenster hing eine Deutschlandfahne, aus einem anderen lehnte eine Frau in Kittelschürze. Sie spuckte auf die Straße.
    Sie mussten lange nach dem Namen auf der Klingelleiste suchen.
    Auf ihr Läuten wurde nicht reagiert. Allerdings ließ sich die Haustür mit einem Tritt gegen die Verschalung öffnen.
    Im Treppenhaus roch es nach den üblichen menschlichen Ausdünstungen, das ranzige Gemisch schaler Tage und Nächte. Der Lärm in einem der unteren Stockwerke ließ auf eine handfeste Auseinandersetzung schließen, doch Trojan und Gerber hatten andere Sorgen.
    Sie stiegen weiter die Treppe hinauf, einen Aufzug gab es nicht.
    Ganz oben, am Ende des Flurs, klopften sie gegen die Tür, weil die Klingel nicht funktionierte.

    Sie hämmerten ein zweites und ein drittes Mal, bis sie eine leise Stimme von innen hörten.
    »Wer ist da?«
    »Kriminalpolizei. Machen Sie bitte auf.«
    Es dauerte eine Weile, bis zaghaft geöffnet wurde.
    Bernd Schuch steckte in einer Schlabberhose, sein T-Shirt reichte gerade bis zum Bauchnabel. Am Hals trug er die Tätowierung einer Krone.
    Trojan und Gerber zückten ihre Dienstausweise.
    »Meine Melanie ist tot«, sagte Schuch ohne Umschweife, leise und voller Erstaunen.
    Sie nickten.
    Seine Augen waren rotgerändert.
    Er ließ sie herein.
    Die Wohnung war ein Sammelsurium von Möbelstücken, die nicht zueinander passen wollten.
    »Kaffee?«, fragte Schuch.
    »Keine Zeit für Kaffee«, erwiderte Gerber. »Wir suchen Ihre Tochter.«
    »Sie schläft.« Schuch nickte zu einer geschlossenen Tür hin. »Sie ist erschöpft, die Kleine. Das war ein Schock. Und für mich erst –«
    Er raufte sich das Haar. Aus seinem Mund drang abgestandener Bierdunst. Trojan dachte daran, dass er noch nicht gefrühstückt hatte.
    »Möchten Sie nicht doch einen Kaffee?«
    Ein verstohlener Blick in Richtung Küche genügte, wo verkrustete Pizzareste auf der Ablage klebten, sie lehnten dankend ab.
    »Könnten Sie sie bitte wecken.«

    »Ich fasse das alles nicht.« Schuch warf den Kopf in den Nacken und reckte die Arme zur niedrigen Zimmerdecke hin, als wollte er zum Allmächtigen beten, doch dann schlug er bloß mit beiden Fäusten gegen seine Schläfen. »Sie müssen mir das nachsehen, bitte, meine Frau ist gestern –«, er suchte lange Zeit nach einem Wort, »verschieden. «
    »Wohl eher Ihre Exfrau.«
    »Ja und? Was macht das für einen Unterschied?«
    Gerber sah zu Trojan hin.
    Trojan räusperte sich. »Herr Schuch, das tut uns alles sehr leid. Aber wir müssen mit Lene sprechen.«
    Schuch kratzte sich nachdenklich unterhalb des Bauchnabels. Schließlich wandte er sich zu der verschlossenen Tür.
    Trojans Nackenhaare stellten sich auf. Möglich, dass er trickst, dachte er. Instinktiv glitt seine Hand zum Waffenholster unter der Jacke.
    »Süße, komm raus!«, rief Schuch.
    Schon hatte er die Tür aufgerissen.
    Gerber und Trojan schoben sich an ihm vorbei.
    »Langsam, langsam«, murmelte er.
    Sie musterten das Zimmer. Es war eher eine Art Kammer, vollgestellt mit Gerümpel.
    Auf dem Boden lag eine Matratze.
    Der Vorhang vor dem schmalen Fenster bewegte sich im Luftzug.
    Geräusche drangen aus dem Hof zu ihnen herauf, Stimmen, streitende Paare, tönende Fernsehapparate.
    Doch die Matratze war leer.

    Nur eine geblümte Bettdecke und ein zusammengeknautschtes Kissen lagen darauf.
    Trojan trat vor und schob den Vorhang beiseite. Für einen Moment fürchtete er, Lene dort unten im Hof zu sehen, verrenkt, gestürzt, zerschmettert.
    Aber da war nichts.
    Er sah erst zu Gerber hin, schüttelte den Kopf, dann blickten sie beide zu Schuch.
    Der rieb sich seinen nackten Arm. Trojan bemerkte eine weitere Tätowierung darauf, ein Herz mit Pfeil, doch in seiner Mitte stand nicht »Melanie« geschrieben, sondern »Marusha«.
    Für einen Moment war zu hören, wie Schuch eine Ladung Speichel hinunterschluckte.
    Dann flüsterte er: »Sie ist weg.«
    Trojan und Gerber starrten ihn an.
    »Lene«, sagte er. »Wo ist sie?«
    Sie tauschten stumme Blicke.
    Schließlich hob Trojan die Stimme: »Herr Schuch, Sie sind

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