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Teuflische List

Teuflische List

Titel: Teuflische List Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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2.
    Als Silas fünf Jahre alt gewesen war, hatte er eine Schwester bekommen.
    »Schau mal«, hatte sein Vater, Paul Graves, vor dem Kreißsaal zu ihm gesagt und ihn hochgehoben, damit er das Neugeborene auf der anderen Seite der Glasscheibe sehen konnte. »Das ist deine kleine Schwester. Ist sie nicht das schönste Baby, das du je gesehen hast?«
    Silas hatte nach unten geschaut.
    Hässlich, dachte er, und ihm zog sich der Magen zusammen.
    Schrumpelig, fleckig und eklig, mit dunklen Haarbüscheln und bleicher Haut. Ganz anders als er.
    Er schaute zu seinem Vater auf. »Mami hat gesagt, ich bin das schönste Baby gewesen.«
    Paul Graves lächelte. »Das warst du auch«, sagte er, »und jetzt ist es dein Schwesterchen.«
    Silas blickte wieder in die Krippe.
    »Mir ist schlecht«, sagte er zu seinem Vater.
    Ihm war wirklich übel.
    »Du musst es uns sagen, Liebling«, hatte seine Mutter, Patricia Graves, am nächsten Tag zu ihm gesagt. Sie hielt das Neugeborene in den Armen. »Du musst uns sagen, wenn du etwas wissen willst oder nicht verstehst.«
    Silas hatte in die sanften braunen Augen geblickt, indie er bis gestern vollkommenes Vertrauen gehabt hatte. Dann hatte er die Fragen gestellt, die ihm auf der Zunge brannten.
    »Wen hast du mehr lieb, Mami? Mich oder sie?«
    »Wir haben euch beide gleich lieb, Silas«, antwortete Patricia in ruhigem Tonfall. Den Aufruhr, der im Innern ihres Sohnes tobte, schien sie gar nicht wahrzunehmen.
    Silas runzelte die Stirn. »Du hast immer gesagt, du hast mich lieber als alles auf der Welt.«
    »So ist es auch«, sagte Patricia. »Ich habe dich und deinen Papa lieber gehabt als alles und jeden anderen.«
    Silas hatte das Gefühl, als würde seine ganze Welt sich mit einem Schlag verändern. Seine Mutter hatte ihre Liebe zu ihm nie zuvor eingeschränkt, hatte nie auch nur angedeutet, dass ihre Liebe wie ein Kuchen war, von dem jeder ein Stück abbekam.
    »Und jetzt«, fuhr Patricia fort, »liebe ich dich, Papa und Julia.«
    Julia.
    Die hässliche Julia.
    Seine Mutter musste etwas in Silas’ Gesicht gelesen haben, denn die Ruhe in ihren Augen geriet ins Wanken.
    »Das heißt aber nicht, dass ich dich deswegen weniger lieb habe, Silas, mein Schatz«, sagte sie.
    Doch genau das hieß es. Silas wusste, dass es genau das bedeutete.
    Jetzt waren es schon drei Kuchenstücke.
    Er blickte in das Gesicht seiner schlafenden Schwester und wünschte sich nichts sehnlicher, als sie in Stücke zu reißen.
    »Hast du verstanden, Silas, mein kleiner Schatz?«, fragte Patricia besorgt.
    Silas blinzelte und richtete den Blick seiner meergrünen Augen wieder auf seine Mutter.
    »Ja, Mami«, sagte er.
    Er verstand nur allzu gut.

3.
    Als Silas zehn Jahre alt war und Julia fünf, hatte Paul Graves ihr großes, altes rotes Ziegelhaus am Fuß des Muswell Hill eines schönen Novembermorgens verlassen – vorgeblich, um in sein Anwaltsbüro in High Holborn zu gehen – und war nicht mehr zurückgekehrt.
    »Ist Papi tot?«, hatte Silas seine Mutter nach einigen Wochen gefragt.
    »Aber nein, Liebling«, hatte Patricia geantwortet. »Papi ist nicht tot.«
    Silas nahm an, dass dies die Wahrheit sei, da sie Papa weder beerdigt noch verbrannt hatten.
    »Ist er im Gefängnis?«, fragte er.
    »Wie kommst du denn darauf?« Seine Mutter riss die Augen auf.
    »Der Vater von einem Jungen in der Schule ist in Scrubs«, antwortete Silas.
    »Dein Vater aber nicht.« Patricia hielt kurz inne. »Und bitte sag so etwas nicht, wenn Julia dabei ist.«
    »Nee, würde ich nicht. Bestimmt nicht.«
    »Ja«, sagte seine Mutter. »Ich weiß.«
    In den ersten vierzehn Tagen nach dem Verschwinden von Paul Graves hatte Patricia viel geweint; doch irgendwann hatte sie sich so weit wieder gefasst, dass sie nur noch nachts in ihrem Schlafzimmer Tränen vergoss.
    Silas lag dann schlaflos in seinem Zimmer, hörte ihrSchluchzen, litt mit ihr und war zugleich wütend auf sie. Wütend, weil er wusste, dass er sie hätte trösten können, wenn er die Gelegenheit gehabt hätte. Er wusste, dass er das Fehlen ihres Mannes mehr als nur hätte wettmachen können. Ein Mann, der – soviel Silas wusste – nie mehr für seine Frau getan hatte, als frühmorgens das Haus zu verlassen, zum Abendessen zurückzukommen und dann ins Bett zu gehen.
    Er sehnte sich zu sagen: Lass mich rein, Mami, während er durch die Wand ihr leises Schluchzen hörte. Lass mich dir helfen. Doch er traute sich nicht, denn er hatte Angst, sie könne ihn auslachen und von sich

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