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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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durch die Bäume fegte und immer wieder dicke Wassertropfen auf uns herabregnen ließ. Ich weiß nicht, wie lange das so ging. Minuten. Stunden. Wir sagten die ganze Zeit kein Wort.

    Dann passierten zwei Dinge gleichzeitig. Über dem Hügel tauchten Scheinwerfer auf. Und während die Ambulanz und der Polizeiwagen in Sicht kamen, öffnete Holly blinzelnd die Augen. Den Bruchteil einer Sekunde sahen wir uns an, und ich hatte das Gefühl, dass sie sogar ein wenig lächelte.
    Dann war plötzlich alles hell erleuchtet und laut, und es herrschte hektische Betriebsamkeit. Leute beugten sich über sie und gaben schnelle Anweisungen. Ein Mann sprach in ein Funkgerät. Holly wurde auf eine Trage gehoben, warm zuge-deckt und in einen Krankenwagen geschoben. Dann fuhren sie los. Das Blaulicht blitzte gespenstisch über den Wald hinweg.
    Zurück blieben nur der Polizeiwagen und zwei Männer. Andere kümmerten sich jetzt um alles, und ich ging auf wackeligen Beinen zu Todd, schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an mich.
    Meine Wangen waren nass, aber ich konnte nicht sagen, ob es sich um meine Tränen handelte oder seine oder ob es einfach wieder zu regnen angefangen hatte.
    Dann sah ich über seine Schulter hinweg die Silhouette eines Mannes am Tor auftauchen. Einen Moment lang blieb er stehen, dann machte er ein paar Schritte auf uns zu und verfiel gleich darauf in einen ungleichmäßigen Laufschritt.
    »Meg«, sagte Charlie, als er uns erreicht hatte. »Was ist los?«
    Er wandte sich an die Polizisten. »Wo ist meine Frau?«
    Dann brach er in Tränen aus.

    39
    Ich betrachtete Charlie, der seine Tränen hinunterschluckte und noch einmal fragte: »Was ist los?« Im Licht des Streifenwagens wirkte sein Gesicht hager und geisterhaft bleich, und seine blutunterlaufenen Augen funkelten. Er zupfte nervös an seiner Jacke herum. Man sah ihm an, dass er Qualen litt, und trotz meiner Wut, meines Kummers und Entsetzens empfand ich plötzlich gegen meinen Willen Mitleid mit ihm. Außerdem fühlte ich mich so erschöpft, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    »Es ist alles in Ordnung, Sir«, begann einer der Polizisten, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
    »Sie haben sie mit dem Krankenwagen weggebracht, Charlie«, sagte ich, so ruhig ich konnte. »Und du weißt genau, was los ist.«
    »Was?«, fragte er verwirrt. »Was?«
    »Sie lebt.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Du verstehst sehr gut«, entgegnete ich und ging zu den beiden sich unterhaltenden Polizeibeamten hinüber. »Das ist der Ehemann. Sie müssen mit ihm sprechen. Es war kein Selbstmordversuch. Er wollte sie umbringen.«
    Die beiden Männer musterten mich verlegen. Ich weiß nicht, wer ihnen verdächtiger vorkam, Charlie oder ich. Charlie machte eine ruckartige Bewegung und murmelte, dass er es nicht ertragen könne, wenn es Holly nicht gut gehe, oder so etwas in der Art.
    »Entschuldigen Sie«, sagte einer der beiden Beamten. »Miss, ähm …?«
    »Ich bin Meg Summers, Hollys beste Freundin«, antwortete ich. »Mein Freund und ich sind aus London herausgekommen, weil ich wusste, dass sie in Gefahr war. Wir haben es gerade noch rechtzeitig geschafft.«
    »Ich möchte meine Frau sehen«, sagte Charlie. »Ich möchte Holly sehen. Können Sie mich hinbringen? Alles andere kann warten.«
    »Wie konntest du das tun?«, fragte ich. »Wie? Ich weiß, was du durchgemacht hast. Ich weiß auch das mit Naomi. Ich weiß alles. Du hättest sie doch auch verlassen können. Warum bist du nicht einfach gegangen? Wie konntest du das nur tun?«
    »Miss Summers«, meinte einer der Beamten. »Bitte beruhigen Sie sich.«
    »Ich bin ruhig. Oder schreie ich? Weine ich? Ich bin ruhig, absolut ruhig.«
    »Meg, Liebes«, sagte Todd und nahm meine Hand.
    Charlie wandte sich an die Polizisten. »Meine Frau leidet schon seit längerem an schweren Depressionen«, erklärte er.
    »Sie hat schon einmal versucht, sich umzubringen. Sie wurde mit Elektroschocks behandelt. Und sie hat seit Wochen von Selbstmord gesprochen.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Es war nicht ihr erster Versuch?«, fragte einer der Beamten Charlie.
    »Nein. Sie hat vor ein paar Wochen eine massive Überdosis Tabletten genommen. Sie ist manisch-depressiv. Es war für alle Beteiligten die Hölle. Aber darüber können wir später sprechen.
    Ich muss jetzt zu ihr.«
    »Du hast geglaubt, weil sie manisch-depressiv ist und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, könntest du sie töten und ungestraft davonkommen. Das

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