Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
aber es ging niemand ran. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Vielleicht machten sie gerade einen Spaziergang. Oder das Telefon war ausgestöpselt. Was sollte ich tun? Man kann eine Telefonnummer ja nicht einfach in einem Telefonbuch nachschlagen. Da fiel mir Trish ein. Sie kannte sich mit solchen Sachen aus. Ich rief sie an.
    »Trish«, sagte ich, »wenn ich eine Telefonnummer habe und die dazugehörige Adresse wissen möchte, gibt es da eine Möglichkeit, sie herauszufinden? Kann ich eine CD-Rom kaufen oder jemanden anrufen, oder gibt es da eine Liste im Internet oder –«
    »Wie lautet denn die Nummer?«, fragte sie.
    Ich las sie ihr vor.
    »Moment«, sagte sie. Ich hörte ein Tippgeräusch. »Ash Tree House, Corresham, Suffolk. Willst du die Postleitzahl auch?«
    »Ja.«
    Sie nannte sie mir, und ich erklärte ihr, dass ich den ganzen Tag wegbleiben würde.
    »Und das Wochenend-Event?«
    »Morgen bin ich wieder da.«
    »Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«, fragte sie.
    »Du wirst es erfahren«, antwortete ich. »So oder so.«
    Ich beendete das Gespräch und starrte dann auf mein Handy, als könnte es mir weiterhelfen. Mir fiel nur eine Person ein. Ich tippte ein paar Zahlen.
    »Todd?« Ich konnte ihm jetzt unmöglich die ganze chaotische Geschichte erzählen. »Erinnerst du dich an den Tag, als ich dich um einen Gefallen bat, und du einfach Ja gesagt hast, ohne zu fragen, worum es dabei überhaupt ging? … Ja? Ich muss dich nämlich schon wieder um einen Gefallen bitten.«

    38
    »Todd«, sagte ich, während wir London verließen und auf der A12 in Richtung Osten fuhren. Es herrschte dichter Spätnach-mittagsverkehr. »Danke.«
    Obwohl er nur eine Art Grunzen ausstieß, hatte ich nicht das Gefühl, dass er sauer war. Wahrscheinlich wollte er mich mit seiner schweigsamen Art einfach nur beruhigen. Allein schon seine gleichmäßige Fahrweise tat meinen angespannten Nerven gut. Ich saß leicht vorgebeugt neben ihm, als könnte ich uns durch diese Haltung zusätzlichen Schwung geben.
    Wir sprachen nicht viel. Bei jedem Stau kaute ich hektisch auf meinem Daumen herum, und jedes Mal, wenn wir gezwungen waren abzubremsen, weil es wieder nur im Schritttempo voranging, stöhnte ich entnervt auf. Immer wieder starrte ich auf die Straßenkarte hinunter, als könnte ich einen geheimen Pfad durch die Autoschlangen finden, oder sah auf die Uhr, um auszurechnen, wie lange wir noch brauchen würden, bis wir unser Ziel erreichten. Einmal mussten wir anhalten, um zu tanken. Ich fand, dass es unerträglich viel Zeit in Anspruch nahm: jede Minute, jede Sekunde zählte.
    Inzwischen war es fast dunkel, und es hatte zu nieseln begonnen. Ich fragte mich, wo Holly sich wohl gerade befand und was sie machte. Zum hundertsten Mal drückte ich auf die Wahlwie-derholungstaste meines Handys. Zum hundertsten Mal hörte ich es klingeln, ohne dass jemand ranging. »Glaubst du, ich bin verrückt?«, fragte ich Todd, nicht zum ersten Mal.
    »Verrückt?«, fragte er. »Vor zwei Wochen habe ich alles, was ich an Geld flüssig machen konnte, einem Kriminellen in die Hand gedrückt. Jetzt chauffiere ich dich Hunderte von Kilome-tern, damit du deine beste Freundin, die mit ihrem geduldigen Ehemann einen lang verdienten Urlaub macht, zu Tode erschrecken kannst. Ich glaube nicht, dass es mir zusteht, einen anderen Menschen für verrückt zu erklären.«
    »Oh, Todd, das ist lieb von dir.«
    »Und natürlich besteht auch noch die Möglichkeit, dass die Telefonnummer gar nichts mit Charlie und Holly zu tun hat und wir bei irgendwelchen wildfremden Menschen landen.«
    »Das kann nicht sein«, antwortete ich. »Das darf nicht sein.«
    »Wenn das so ist«, sagte er, »dann hast du sicher Recht.«
    Ich beugte mich schweigend vor. In mir nagte die Angst.
    Obwohl ich nie an Gott geglaubt hatte, verspürte ich den Wunsch zu beten. Mach, dass es ihr gut geht, bitte mach, dass ihr nichts passiert, bitte, bitte, bitte. Es regnete immer noch.
    Langsam ließ der Verkehr nach, und Todd konnte Gas geben.
    Es war eine dunkle, mondlose Nacht. Am Horizont sahen wir den orangefarbenen Schein irgendwelcher Ortschaften. Schließ-
    lich bogen wir von der Hauptstraße in eine kleinere, von regennassen Bäumen gesäumte Straße ein. Nun waren nur noch wenige Autos unterwegs. Unsere Scheinwerfer beleuchteten ausgedehnte, gepflügte Felder, kleine Wäldchen und alte, irgendwo in der Landschaft stehende Kirchen mit gedrungenen Glockentürmen und

Weitere Kostenlose Bücher