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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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beeilten sich nach Kräften und waren etwas vor sechs Uhr abends nur noch drei Meilen von ihrem heutigen Ziele entfernt, als Birk ganz auffällig zu knurren anfing.
    Findling blieb stehen und sah nach der Straße hinaus, bemerkte aber nicht das geringste.
    »Was hast Du denn, Birk?«
    Birk bellte jetzt schwach und lief dann rechts nach dem Flusse zu, dessen Ufer nur gegen zwanzig Schritte entfernt war.
    »Er hat wahrscheinlich Durst, dachte Findling, und ich möchte in der That auch einmal trinken.«
    Damit wandte auch er sich der Dripsey zu, als der Hund, laut anschlagend, eben in das Wasser sprang.
    Höchst erstaunt sprang der Knabe mit einigen Sätzen an das Ufer und wollte seinen Hund rufen….
    Da gewahrte er den Körper eines Kindes, der von der Strömung hinweggeführt wurde. Der Hund hatte ihn an den Kleidern oder vielmehr an seinen Lumpen gepackt. Die Dripsey ist aber voller Wirbel und deshalb ein recht gefährliches Wasser. Birk bemühte sich, ans Ufer zurückzuschwimmen, was ihm nur schwer gelingen zu sollen schien, da das Kind sich krampfhaft an dem Thiere festhielt.
    Findling konnte schwimmen; Grip hatte es ihm ja seiner Zeit gelehrt. Jetzt warf er ohne Zögern die Jacke ab, doch da erreichte Birk mit einer letzten Anstrengung das Ufer.
    Findling brauchte sich nur zu bücken und das Kind an der Kleidung zu fassen, um es in Sicherheit zu bringen, während der Hund sich freudig bellend schüttelte.
    Das Kind war ein Knabe von höchstens sechs bis sieben Jahren. Die Augen hatte er geschlossen, der Kopf hing schlaff herab und das Bewußtsein hatte er verloren….
    Wie erstaunte Findling aber, als er dem Kleinen die herabhängenden nassen Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte….
    Das war ja der hübsche Bursche, den der Graf Ashton vor kaum zwei Wochen so rücksichtslos mit der Peitsche geschlagen hatte, und wobei Findling für seine mitleidige Intervention von dem jungen Piborne so heftig ausgescholten wurde.
    Seit vierzehn Tagen irrte das arme Kind plan-und ziellos auf der Landstraße umher. Im Laufe des Nachmittags mochte er an die Dripsey gekommen sein… hatte wohl seinen Durst löschen wollen, war dabei ausgeglitten und vom Strome fortgerissen worden, und jetzt wäre er jedenfalls, wenn Birk ihn nicht in letzter Minute rettete, in einem Wasserwirbel versunken.
    Nun galt es, den Knaben wieder zu sich zu bringen, was Findling so gut wie möglich versuchte.
    Das arme, bedauernswerthe Wesen! Sein schmales Gesicht, der hagere, fleischlose Körper, alles verrieth, was es gelitten haben mochte: Anstrengung, Kälte und Hunger! Der Leib des Kleinen war eingesunken, wie ein leerer Sack. Wie sollte er ihn nun wieder zum Bewußtsein bringen? Jedenfalls mußte er zuerst von dem verschluckten Wasser befreit werden, dann wollte Findling ihm Mund auf Mund Luft einblasen. – Wirklich that das Kind nach kurzer Zeit wieder einen ersten schwachen Athemzug, dann schlug es die Augen auf und über seine Lippen kamen die klagenden Worte:
    »Ich habe Hunger… ach. ich habe solchen Hunger!«
    I am hungry
! Das ist der Ausruf des Irländers, den er während seines ganzen Lebens und noch, wenn ihm die Augen schon brechen, vernehmen läßt.
    Findling besaß noch einigen Mundvorrath. Aus Brod und Speck machte er zwei bis drei Bissen und schob sie dem Knäblein in den Mund, der sie gierig verschlang. Er mußte ihn mäßigen, sonst wäre er erstickt. Die Speise glitt in ihn hinein, wie die Luft in eine vorher luftleere Flasche.
    Mühsam richtete er sich auf. Sein Blick haftete auf Findling, er schien sich unklar, dann rief er ihn erkennend:
    »Du?… Du? murmelte er.
    – Ja… Du erinnerst Dich also….
    – Ach ja… auf der Straße… ich weiß nicht wann….
    – Ich… weiß es… mein Junge….
    – O, verlasse mich nicht!
    – Nein, nein; ich begleite Dich. Wohin wolltest Du gehen?
    – Weiß nicht… der Straße nach….
    – Wo wohnst Du denn?
    – Wohnen?… Nirgends….
    – Wie bist Du denn in den Fluß gefallen?… Hast wohl trinken wollen?
    – Nein.
    – So bist Du nur ausgeglitten?
    – Nein. Ich bin… mit Willen hineingefallen!
    – Absichtlich?
    – Ja… ja… jetzt thu’ ich’s aber nicht wieder, wenn Du bei mir bleibst….
    – Beruhige Dich. ich bleibe bei Dir!«
    Findling traten die Thränen in die Augen. Mit sieben Jahren der entsetzliche Gedanke, sterben zu wollen!… Die Verzweiflung trieb dieses Kind in den Tod, die Verzweiflung, die aus der Entblößung von allem, aus dem Verlassensein, aus dem

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