Der Findling
Hunger emporwuchert!
Das Kind hatte die Augen wieder geschlossen. Findling hielt es für angezeigt, jetzt mit weiteren Fragen zurückzuhalten. Dazu war später Zeit. Die Geschichte des Kleinen kannte er ja schon, es war doch die aller dieser armen Geschöpfe… war seine eigne…. Ihm freilich war, Dank seiner ungewöhnlichen Energie, nie der Gedanke gekommen, seinem Elend auf diese Weise ein Ende zu machen.
Jetzt galt es eine Entscheidung. Das Kind war nicht imstande, noch mehrere Meilen bis Woodside zu gehen, und Findling hätte es nicht bis dahin tragen können. Außerdem brach die Nacht schon an, und da schien es das nöthigste, einen Schutz zu finden. In der Nähe war kein Gasthaus zu sehen, auf der Dripsey neben der Straße zeigte sich kein Boot. Zur Linken stand dichter Wald. Hier mußten sie also wohl die Nacht am Fuße eines Baumes hinbringen, auf einer Streu von Blättern und, wenn nöthig, neben einem Feuer aus dürrem Holze. Mit Sonnenaufgang und wenn das Kind wieder mehr bei Kräften war, konnten sie Woodside oder Cork unschwer erreichen. Für heute Abend war genug zu essen da und es blieb auch noch ein wenig zum Frühstück für morgen übrig.
Findling nahm den vor Müdigkeit eingeschlafenen Knaben in die Arme. Birk hinter sich ging er quer über die Straße und zwanzig Schritte in den Wald hinein, wo es unter den hundertjährigen Buchen, deren es in Irland unzählige giebt, schon sehr dunkel war.
Wie freute er sich da, einen geneigt stehenden und vom Alter ausgehöhlten Stamm zu entdecken! Das war eine Art Wiege oder richtiger ein Nest, in das er seinen kleinen Vogel niederlegen konnte. Die Höhlung war unten mit gleich Sägespänen weichem Staub bedeckt, und wenn er noch einen Arm voll dürrer Blätter darüber breitete, war das schönste Bett fertig. Beide konnten darin Platz und ein warmes Lager finden, so daß das Kind sogar im Schlafe fühlen würde, daß es nicht mehr allein sei.
Bald darauf war der Knabe in dieser Aushöhlung untergebracht. Die Augen öffnete er vorläufig nicht wieder. doch athmete er sanft und fiel schnell in tiefen Schlaf.
Findling trocknete nun die Kleidungsstücke, die sein Schützling – der Schützling des Knaben von elf Jahren! – morgen wieder anziehen sollte. Nachdem er mit trocknem Holz ein Feuer angezündet hatte, rang er die Lumpen aus und hing sie dann in der Nähe der Gluth an einem niedrigen Buchenaste auf.
Jetzt war es Zeit, ans Essen zu denken. Der Hund bekam auch seinen Antheil an Brod und Kartoffeln – zwar nicht viel, doch er beklagte sich deshalb nicht. Sein junger Herr streckte sich nun in dem hohlen Buchenstamme aus und schlief, den Arm um den Knaben gelegt und vom treuen Birk bewacht, auch endlich ein.
Am nächsten Tage, dem 18. September, erwachte das Kind zuerst, höchst verwundert, in einem so guten Bette zu liegen. Birk kläffte es schweifwedelnd an… er hatte sich doch auch um die Rettung des Kleinen verdient gemacht.
Findling schlug sofort die Augen auf, und der Knabe warf sich ihm um den Hals.
»Wie heißest Du? fragte er.
– Findling. Und Du?…
– Bob.
– Nun so komm, Bob, zieh’ Dich an.«
Bob ließ sich das nicht zweimal sagen. Er erinnerte sich kaum daran, gestern ins Wasser gegangen zu sein. Jetzt hatte er ja eine Familie, einen Vater, der ihn nicht verlassen würde, wenigstens einen großen Bruder, der ihn einmal auf der Straße nach Trelingarcastle mit einer Handvoll Coppers erfreut hatte. Er ließ sich mit der seinem Alter eignen Vertrauensseligkeit gehen, mit jener natürlichen Vertraulichkeit, die man bei irischen Kindern gewöhnlich antrifft. Andrerseits erschien es Findling, daß das Zusammentreffen mit Bob ihm nun Pflichten, gleichsam Vaterpflichten, auferlegt habe.
Und wie glücklich war Bob, ein weißes Hemd unter seinen trocknen suchen zu fühlen! Wie machte er die Augen – doch auch den Mund – weit auf vor einer Schnitte Brod, einem Stück Käse und einer warmen Kartoffel, die in der Asche des Feuers geröstet worden war! Dieses Frühstück zu zweien war vielleicht das beste, das er seit seiner Geburt genossen hatte.
Seit seiner Geburt?… Seinen Vater hatte er zwar nicht, wohl aber – glücklicher als Findling – seine Mutter gekannt, die vor zwei bis drei Jahren, genauer wußte Bob es nicht, aus Mangel und Entbehrung gestorben war. Nachher hatte man ihn in der Armenanstalt einer nicht zu großen Stadt, auf deren Namen er sich nicht besann, untergebracht. Später war jene Anstalt wegen fehlender
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